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Buchverkauf: Die Lesung ist die Lösung

Zur Eröffnung der Leipziger Buchmesse zeigt sich, dass die Veranstaltung ein ideales Trainingsgeländer für Autoren ist. Diese müssen lernen - nämlich mit charismatischen Lesungen Bücher zu verkaufen.

Der norwegische Schriftsteller Mathias Faldbakken weigert sich, aus seinen Büchern zu lesen. Auch in Leipzig, wo am Mittwochabend die Bühnenfassung seines Debütromans „The Cocka Hola Company“ Premiere hatte und im Anschluss eine Lesung aus seinem neuen Roman „Unfun“ stattfand. Faldbakken war zwar anwesend, so viel hat er seinem deutschen Verlag zugestanden, und er treibt sich auch die nächsten Tage für Gespräche auf der Buchmesse herum, lesen jedoch müssen andere für ihn.

Diese Verweigerungshaltung passt gut zu den kapitalismus- und medienkritischen Themen seiner Romane. Sie ist trotzdem ein Anachronismus. Denn mehr und mehr werden (junge) Autoren von ihren Verlagen gedrängt, sich und ihre Bücher einem Publikum zu präsentieren. Und mehr denn je wissen sie selbst, wie wichtig es ist, sich zu inszenieren, und wie wichtig charismatische Auftritte für den Verkauf sind.

Leipzig eignet sich da als ideales Trainingsgelände. Denn anders als die Frankfurter Buchmesse, die sich in ihrem Kern ums Geschäft dreht und auf der Autoren und Autorinnen oft ziemlich verloren wirken, geriert sich Leipzig als Publikumsmesse, als Lesefest, das am Mittwoch Abend mit der Verleihung des Leipziger Buchpreises begann. Über 1500 Autoren lesen hier auf fast 2000 Veranstaltungen. Literatur zum Anfassen ist das – und Literatur, die mehr und mehr zum Event neigt. Der bücherschreibende Fernsehpromi ist eines der besten Beispiele für die Eventisierung der Buchkultur.

Verstärken wird sich dieser Trend durch die Digitalisierung der Buchbranche, wenn das E-Book eines Tages tatsächlich seinen Siegeszug antreten sollte. Vor sechs Jahren schon hat Umberto Eco in seinem „Inneren Monolog eines E-Books“ den Charakter und die verlorene Aura des digitalen Dings beschrieben. In der Geschichte lässt er sein E-Book stöhnen, dass „viele Leben und viele Seelen zu haben, ist, wie kein Leben und keine Seele zu haben, und außerdem muß ich aufpassen, daß ich mich nicht zu sehr in einen Text verliebe, denn am nächsten Tag könnte mein Benutzer ihn löschen.“

Wenn das Medium allein nicht mehr zur Message taugt; wenn nur noch der reine Text die Party ist und er keine auratische Hülle mehr besitzt – und E-BooksSignieren bringt es ja nun auch nicht –, dann wird die Lesung wieder wichtig. In der Musikbranche hat man diese Erfahrung schon gemacht. Nachdem durch Digitaliserung und MP-3-Dateien der Markt für Tonträger immer mehr schrumpft, sind Liveshows gefragter denn je, nicht nur, weil wegen der Raubkopien mehr Geld in den Taschen der Konsumenten ist. Physische Präsenz erhöht den Erlebnisgrad des Kunstgenusses. Vermutlich wird sich das selbst ein Mathias Faldbakken überlegen. Gegen einen strammen Agit-Prop-Auftritt dürfte er ja nichts haben, der käme seiner Prosa durchaus nahe. Gerrit Bartels

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