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Bürgerkriege: Es brennt

Der Literaturwissenschaftler Paul Michael Lützeler fragt, was deutsche Gegenwartsromane von den globalen Bürgerkriegen wissen.

Neun von zehn militärischen Konflikten weltweit sind heute Bürgerkriege. Staaten haben das Monopol auf Kriegsführung verloren. Nicht nur im Irak und in Afghanistan kämpfen Truppen internationaler Gemeinschaften gegen lokal organisierte Kampfverbände. In Somalia, Ruanda oder dem Sudan zerfiel mit der nationalstaatlichen Souveränität das Gewaltmonopol in die Einflusssphären einzelner warlords. Unser Wissen über diese Konflikte speist sich aus Nachrichtensendungen, Reportagen, Dokumentarfilmen und Ausläufern der wissenschaftlichen Forschung wie Herfried Münklers „Die neuen Kriege“ (2002) oder Harald Welzers „Klimakriege“ (2008). Was aber weiß die Literatur von diesen Veränderungen? Notieren doch die Dichter und Schriftsteller von Homers „Illias“ über Shakespeares Königsdramen bis zu Johnsons „Jahrestagen“ die politischen Zeitläufte auf ihre Art und Weise.

Dieser Spur folgend, fragt der Literaturwissenschaftler Paul Michael Lützeler, der an der Washington University in St. Louis lehrt, was deutsche Gegenwartsromane von den globalen Bürgerkriegen wissen. Über 15 Autoren und ihre Bücher untersucht er in Einzelkapiteln. Der Bogen spannt sich von Erich Hackls „Sara und Simón“ zum Bürgerkrieg in Uruguay 1962 über Christian Krachts „1979“ zur islamischen Revolution im Iran bis zu Lukas Bärfuss’ „Hundert Tage“ über den Genozid in Ruanda Mitte der 1990er Jahre. Lützeler sieht die Bürgerkriegsromane darin verbunden, dass sie vom Leser implizit ein „Nachschlagverhalten“ fordern, das die Lektüre erst mit Sinn erfüllt. Eine interessante Beobachtung, und einige dieser Recherchefrüchte werden dem Leser opulent dargeboten. Aber es trägt nicht als Gedanke, der die Bücher erhellend miteinander verknüpft.

Eine solche Spur hätte zum Beispiel der Vergleich von journalistischen und literarischen Schreibweisen sein können. Sie ist in den Texten, die Lützeler ausgewählt hat, unmittelbar angelegt. Die Hauptfiguren von Nicolas Borns „Fälschung“ (1979) und Norbert Gestreins „Handwerk des Tötens“ (2003) etwa sind jeweils ein Journalist, der vom Bürgerkrieg im Libanon bzw. in Ex-Jugoslawien berichtet. Beide geraten in den Gewissenskonflikt: Sind diese Ereignisse und Erfahrungen noch wahrhaftig in den gängigen journalistischen Gattungen darstellbar? Nachdem der Protagonist in Borns Roman Augenzeuge eines Massakers wird, verweigert er seinem Hamburger Magazin die geforderte Reportage und schreibt stattdessen einen beinahe dichterischen Text, der „auch nach wiederholtem Lesen in Bewegung blieb“. Dass Autoren wie Michael Roes, Hans Christoph Buch oder Christian Kracht über die Regionen ihrer Bürgerkriegsromane auch exzellente Reportagen geschrieben haben, erwähnt Lützeler. Was aber der Roman von den neuen Kriegen weiß, was wiederum der Reportage entgeht und umgekehrt, bleibt in seinem Buch offen. Thomas Wild
Paul Michael

Lützeler: Bürgerkrieg global. Menschenrechtsethos und deutschsprachiger

Gegenwartsroman.

Wilhelm Fink Verlag, München 2009. 360 Seiten, 29,90 €.

Thomas Wild

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