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Caius Dobrescu: Unsichtbare Hände

Das Zittern steigert sich zur Vibration, die Vibration zur Explosion. Caius Dobrescu glaubt als Dichter an die Kraft der Bewegung, an die "kostbare Katastrophe" eines Kugelblitzes. Es lebe der Zweifel: Dobrescus flirrende "Ode an die freie Unternehmung“.

Das Zittern steigert sich zur Vibration, die Vibration zur Explosion. Caius Dobrescu glaubt als Dichter an die Kraft der Bewegung, an die „kostbare Katastrophe“ eines Kugelblitzes. „Die Explosion ist eine Lagerstätte, ein labyrinthisches Sammelbecken für Brennstoffe. Für Ressourcen, opportunities.“ Die ruhmreiche rumänische Poesie mit Vertretern wie Gellu Naum, Nora Iuga oder Oskar Pastior liebt seit jeher die Überraschung, den surrealistischen Genuss am Unvorhergesehenen.

Als ein Gelände, in dem „geisterhafte Signale aus dem Verkehr aufblitzen, unerdenkliche Analogien und Verschränkungen von Geschehnissen an der Tagesordnung sind“, beschrieb Walter Benjamin in seinem grundlegenden Aufsatz „Der Sürrealismus“ 1929 das Pariser Terrain dieser Kunstrichtung. Ihr wohnt ein unbändiger Freiheitswille inne.

Diesen vermengt der 1966 im siebenbürgischen Brasov (Kronstadt) geborene Caius Dobrescu, der wie alle seine Landsleute den Übergang von der brutalen Mangelwirtschaft Ceausescus zum Kapitalismus mit seinen Fährnissen erlebte, mit dem liberalen Geist des schottischen Nationalökonomen Adam Smith (1723-1790).

Smith hatte in seinem Hauptwerk „Eine Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Reichtums der Nationen“ den Begriff der „unsichtbaren Hand“ (invisible hand) geprägt. Als quasi-religiöses Symbol und Instrument einer natürlichen Ordnung garantiert sie den Ausgleich der egoistischen Eigeninteressen, um das Gemeinwohl zu maximieren.

Adam Smiths unwägbare, segensstiftende Hand ist es, die auf ingeniöse Weise auch Dobrescus „Ode an die freie Unternehmung“ dirigiert: „Der Verstand ist ein Schild. Eine / Adlerschwinge. Ein Schild, ja, / ein provozierender. Der Schild, der / unter seinem Schutz / alle Möglichkeiten offenhält. Alle, jawohl, wie die Saiten, auf denen / er spielen kann, wann immer ihm danach ist, direkt oder / mit dem Schatten, die Hand, ja / die Unsichtbare / Hand.“

Die Unsichtbare Hand wird aber in den 35 Oden, die alle den Titel „Lob der freien Unternehmung“ tragen, nicht nur liedhaft gepriesen, sondern auch ironisch angegangen. Mit ihren Tentakeln kann sie dem Dichter sanft über den Kopf streichen oder sich zu einer Epiphanie verdichten: „Als ich es dann geschafft hatte, ihr näherzukommen, / sah ich sie als Bienenschwarm / aus Gold, der sich einzig und allein durch die Kraft des Gesumms / in der Luft hielt.“

Der polyglotte Literaturdozent Caius Dobrescu veröffentlichte bereits vier Gedichtbände und einen Roman. In seiner ersten auf Deutsch vorliegenden Publikation evoziert nicht nur das calvinistische Wohlstandssymbol der Biene oder lobt das Geld dafür, dass es „Räume/Zwischenräume der Freiheit zwischen uns / und unseren Wünschen“ schafft. Bevor seine luftigen Imaginationen nach einem Marktwirtschafts-Manifest klingen könnten, kontrastiert er sie mit Erdhaftem wie einem schokoladenkrustigen Jeep oder dem lyrischen Ich, das sich wahlweise ungeniert kratzt oder im Kleeblattschlafanzug Tennis spielt.

Als Propagandist der Beschleunigung, als Jünger der Kybernetik und „geheimer Kurzschlüsse“ hält Caius Dobrescu das Oden-Gesamtkunstwerk mit all seinen Einzelteilen fortwährend in Bewegung. Dabei fungiert der Zweifel als Motor, „als Vibration, als Musik“, so dass die Ode zu einem Lobgesang der Ungewissheit wird – ein höchst aktuelles Unternehmen also. Der Wechsel zwischen jäher Bewegung und Innehalten gerät zu einem poetischen Movens, das den Wirtschaftskreislauf unterläuft und kontrastiert.

Mit Caius Dobrescu und seinem Übersetzer Gerhardt Csejka ehrte die Stadt Münster mit ihrem Preis für Europäische Poesie dieses Jahr nach Gellu Naum/Oskar Pastior (1999) und Daniel Banulescu/Ernest Wichner (2005) schon zum dritten Mal ein rumänisch-deutsches Tandem. Die Besonderheit des Preises besteht darin, dass die fremdsprachigen Lyriker und ihre Übersetzer zu gleichen Teilen ausgezeichnet werden.

In seiner Laudatio auf den unternehmerischen Mut von Autor, Übersetzer und Verleger nannte der in Berlin lebende Lyriker Ulf Stolterfoht („holzrauch über heslach“) als größte Qualität der Dobrescu’schen Ode, „dass sie diese Spannung nicht nur aushält, sondern formuliert und produktiv zu machen versteht – in Sätzen, dies ich so weit von einer gesellschaftlichen Indienstnahme entfernt haben, dass gerade darin ihre soziale Wirksamkeit besteht“.

Der 1945 in Zábrani (Guttenbrunn) im Banat geborene Gerhardt Csejka, der seit 1986 in Frankfurt am Main lebt, kann nun sein Portfolio hervorragender rumänischer Autoren – erwähnt sei vor allem der Romancier und Lyriker Mircea Cartarescu – mit der denkwürdigen Wortmusik von Caius Dobrescus Oden als „einer völlig unbekannten Pflanze“ schmücken. Ihre Botanisierung beziehungsweise Lektüre verspricht eine ungeahnte, elektrisierende Erfahrung: „Die Weisheit – / eigenartig schön, für einen Augenblick / hell erleuchtet durch die enge Nachbarschaft / zur Senilität“.

Caius Dobrescu: Ode an die freie Unternehmung. Gedichte. Aus dem Rumänischen von Gerhardt Csejka. Daedalus Verlag, Münster 2009.

46 Seiten mit Abbildungen, 9 €.

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