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Literatur: Chaos und Charisma

Catherine Fried erinnert sich an Erich Fried

Von Gregor Dotzauer

Später, als er ihr ein Glas Mäuseköttel mit der Aufschrift „Scheidungsgründe“ überreichte, war es vielleicht ein Wunder, dass sie noch zusammen blieben. Denn Erich Frieds kindisches Vergnügen, Nacht für Nacht dieselbe Maus mit Hilfe eines in Erdnussbutter getauchten Bleistifts und eines Küchensiebes einzufangen, um sie am Morgen wieder freizulassen, war nur ein Zeichen dafür, wie wenig er und Catherine, seine dritte und letzte Frau, sich oft einig waren. Über die Erziehung der drei gemeinsamen Kinder, über den Umgang mit einer aus allen Nähten platzenden Großfamilie und vor allem: über den Nomadenbetrieb, der sich in ihrem Londoner Haus und Garten breitmachte. Zu Hunderten fielen im Lauf der Jahre erbetene und weniger erbetene Gäste über das Friedsche Anwesen und den dortigen Kühlschrank her. Ein linksradikaler Wanderzirkus, dessen größter Clown ein Lebenskünstler namens „Max the axe“ war. Er kampierte im Schuppen, den er zur „Befreiten Zone“ erklärt hatte und feilte sich auf dem Küchentisch gerne die dreckigen Zehennägel.

Das größere Wunder aber war, dass der österreichische Dichter und Übersetzer Fried und die britische Bildbeschafferin Catherine Boswell Anfang der sechziger Jahre überhaupt zusammenkamen. Denn er war, wie sie sofort bemerkte, klein, dick und hässlich, wenn auch ausgesprochen warmherzig, sie dagegen überragte ihn um mehr als einen Kopf und war eine stattliche Erscheinung, in der nur deutlich weniger Ego Platz hatte. Ja die „terrierartige Entschlossenheit“, mit der er um sie warb, machte ihr regelrecht Angst. Wobei er, kurz bevor es wirklich ernst wurde, eine Grafologin konsultierte, die zwischen einer neu aufgetauchten Eheanwärterin und Catherine eine Entscheidung treffen sollte. Im Nachhinein lacht man darüber.

Von Literatur erzählen Catherine Frieds bewegende Erinnerungen „Über kurz oder lang“ nur am Rande. Zum zwanzigsten Todestag von Erich Fried am gestrigen Samstag versuchen sie sich, mit Auftritten von Rudi Dutschke bis Astrid Proll, eher an einem Sittengemälde der Zeit – und was sie zuließ an Liebe und Verletzungen, an Nestwärme, individueller Freiheit und Nebenbeiamouren.

Catherine Fried: Über kurz oder lang. Erinnerungen an Erich Fried. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2008. 144 Seiten, 15,90 €.

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