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Literatur: Der Überwinder des Kalten Krieges

Kein Hollywood-Cowboy: Die Tagebücher von Ronald Reagan revidieren Europas Sicht auf den 40. Präsidenten der USA

Mit dem Namen Ronald Reagans sind hierzulande eher negative als positive Vorstellungen verbunden. Die Anhänger der Friedensbewegung haben in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts den 40. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika mit ziemlich krassen Feindbildern überzogen. Erinnert sei nur an das Urteil vom „schießwütigen Cowboy“ aus dem Wilden Westen oder vom gescheiterten „Hollywood Schauspieler“, der sich in die Politik verirrt habe.

Inwieweit sie dabei Hilfe von der östlichen Seite bekamen, sei dahin gestellt. Tatsache ist, dass diese Anschuldigungen nie wirklich hinterfragt wurden.

Selbst die mittlerweile als historisch angesehene Rede, die der US-Präsident vor 20 Jahren vor dem Brandenburger Tor in Berlin hielt, konnte das negative Image nicht revidieren. Dabei mehren sich die Hinweise, dass der umstrittene Präsident eine durchaus wichtige Rolle gespielt hat, um den Kalten Krieg friedlich zu beenden. Jetzt können wir uns selbst ein Bild machen. Der US-Historiker Douglas Brinkley hat die „Reagan Tagebücher“ veröffentlicht. Leider gibt es sie vorerst nur in englischer Sprache. Die Lektüre ist spannend, denn die Urteile von damals können nun mit dem Wissen von heute verglichen werden. Um es gleich vorweg zu sagen: Manche lieb gewonnene Vorstellung werden wir revidieren müssen.

Vor Reagan hat es lediglich vier Präsidenten gegeben, die während ihrer Amtszeit kontinuierlich Tagebuch führten. Der große George Washington war übrigens einer von ihnen.

Ein US-Präsident denkt und handelt in globalen Kategorien und ist permanent im Einsatz. Da bleibt wenig Zeit und Raum für derartige Aktivitäten. Ronald Wilson Reagan hat diese Entscheidung denn auch ganz bewusst getroffen. „Wir wollten“, erinnert sich Nancy Reagan, „die Erlebnisse und Gedanken eines Tages festhalten“. Dabei dürfte die Erfahrung mitgespielt haben, wie schnell die Erinnerungen an die Amtszeit als Gouverneur von Kalifornien in den Jahren 1967 bis 1975 verblasst waren. Am Ende von Reagans Amtszeit gab es fünf dicke Bände. Jedes Blatt war bis zur letzten Zeile beschrieben. Reagan stammte eben aus bescheidenen Verhältnissen und wurde 1911 im Mittleren Westen der USA geboren. Papier war für ihn kostbar und durfte nicht verschwendet werden.

Die Tagebucheintragungen offenbaren eine einfache und direkte Sprache. Reagan schrieb wie er sprach, ganz gleich, ob es sich um ein großes Publikum handelte oder um Würdenträger fremder Nationen. Helmut Schmidt, der als Politiker ebenfalls mit der Sprache umzugehen wusste, verschweigt in seinen Erinnerungen nicht, wie sehr ihn die Fähigkeit des US-Präsidenten beeindruckt hatte, hoch komplexe Sachverhalte in eine einfache Sprache umzusetzen. Anzeichen von Eitelkeit, Egozentrismus oder gar Eigenlob, allesamt Kennzeichen des Showgeschäftes, sucht man im Tagebuch vergeblich. Verliefen Gespräche oder Verhandlungen erfolgreich, hieß es nüchtern: „Ein guter Tag“. Und noch etwas offenbart das Tagebuch: Reagan schrieb viele seiner Grundsatzreden selbst.

Eine Überraschung ist dies eigentlich nicht, denn es war kein Neuling, der im Januar 1981 das Amt antrat. In den 50er Jahren hatte Reagan als Vorsitzender die Schauspieler-Gewerkschaft in Hollywood vertreten. Danach bereiste er als Sprecher der General Electric Company weite Teile der USA und nach seinem Ausscheiden als Gouverneur wurde er ein beliebter Rundfunk-Kommentator. Der routinierte Redner hatte wenig mit Schauspielerei zu tun.

Der Politiker Ronald Reagan wurde in seinem Handeln und Denken von den uramerikanischen Werten Freiheit und Demokratie bestimmt. Die kommunistische Weltanschauung lehnte er ab. Die Sowjetunion war für ihn das „Reich des Bösen“. Im Gegensatz jedoch zu vielen seiner Ratgeber war er bereit, mit den Kommunisten zu verhandeln. „Ich will versuchen“, notierte er am 6. April 1983, „der Sowjetunion eine bessere Welt zu zeigen, wenn sie bereit ist, durch konkrete Taten zu beweisen, dass sie mit der freien Welt zu Rande kommen will.“ Wie wir heute wissen, gelang dies erst 1985, als Michail Gorbatschow sein Amt als sowjetischer Generalsekretär antrat. Aufgrund der Tagebucheintragungen können wir nun die Kontakte, Treffen und Verhandlungen zwischen den beiden mächtigsten Männern der Welt genau nachzeichnen. Die Initiative zu diesem Dialog hatte der US- Präsident ergriffen. Reagan verschweigt nicht, dass der intensive Kontakt auch die zwischenmenschlichen Beziehungen veränderte. „Die Chemie zwischen uns beiden stimmt“, urteilte er am Ende seiner Amtszeit.

Die Beziehungen zu Helmut Kohl waren von Anfang an positiv. „Wir haben ein gutes Verhältnis hergestellt“, hieß es nach dem Antrittsbesuch des Bundeskanzlers am 15. November 1983. Der nächste Besuch ein Jahr später brachte sogar noch eine Steigerung. „Er ist ein guter Freund“, konstatierte Reagan, „und ein solider Verbündeter“.

Die Festigkeit der deutsch-amerikanischen Beziehungen und insbesondere das gute Verhältnis der beiden führenden Staatsmänner ermöglichte es am Ende des Jahrzehnts, dass sich die Deutschen in freier Wahl für ihre nationale Einheit entscheiden konnten. Anfang der 80er Jahre hatte es noch keineswegs danach ausgesehen. Die deutsche Politik befand sich in einer Umbruchphase mit ungewissem Ausgang. Ausgelöst hatte die Krise 1979 der sogenannte „Nato-Doppelbeschluss“ des westlichen Verteidigungsbündnisses. Die Sowjetunion sollte ihr Übergewicht an nuklearen Mittelstreckenraketen abbauen. Gelang dies nicht, mussten als Gegengewicht US-Raketen vom Typ Pershing II stationiert werden.

Die Anhänger der Friedensbewegung sahen in dieser Politik eine akute Bedrohung des Weltfriedens und fürchteten den „nuklearen Holocaust“. Obwohl Reagan weder direkt noch indirekt an der Entscheidung beteiligt gewesen war, richtete sich die Kritik hauptsächlich gegen ihn. Als der US Präsident im Juni 1982 erstmals Bonn besuchte, gingen fast eine halbe Million Menschen auf die Straße. Die Massen, so muss man es heute wohl sehen, waren in ihrem Urteil nicht nur voreilig; sie waren auch voreingenommen.

Der Autor ist Direktor des Berliner Alliierten-Museums.







– Ronald Reagan
:

The Reagan Diaries.

Herausgegeben von Douglas Brinkley. Harper Collins, New York (USA) 2007, 784 Seiten, 36,40 Euro.

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