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Diskussion: NIcolas Born: Die Nacht und das Licht

Wie der Dichter Nicolas Born sich selbst aus den Fesseln der Ideologie befreite und die Poesie vor der Politik rettete - oder doch eher vor dem Zeitgeist? Eine Podiumsdiskussion.über die Achtundsechziger und ihre Wirkung.

Es verwundert kaum, dass der Streit um die Deutungshoheit über das Erbe von ’68 auch auf die Literaturgeschichte übergreift: Wie erbittert er auf diesem Gebiet ausgetragen wird, erstaunt aber doch. Das zeigte sich jetzt auf einer Gedenkveranstaltung zum 30. Todestag von Nicolas Born in der Landesvertretung Niedersachsens. Dass der aus dem Ruhrgebiet stammende Born entscheidende Impulse für sein Schreiben im damaligen West-Berlin empfing und nicht bloß dadurch zum Niedersachsen wird, dass er die letzten vier Jahre seines früh vollendeten Lebens im Wendland verbrachte – geschenkt! Dass Niedersachsen sich des Autors annimmt, ist trotzdem begrüßenswert.

Problematischer wird es, wenn Borns Leben und Werk auf die klischeehafte Formel gebracht wird: Durch Nacht zum Licht. Die Nacht, das war die Indienstnahme der Literatur durch die Politik nach 1968, verkörpert durch Borns Weggefährten Hermann Peter Piwitt, der aus dieser Sicht ein ideologischer Einpeitscher war – in Wahrheit ist Piwitt ein ironisch gebrochener Melancholiker. Die Lichtgestalt dagegen war Peter Handke, mit dem Born in seinen letzten Lebensjahren befreundet war und der ihn aus den Fesseln der Ideologie befreit haben soll. Diese These – neben Borns Tochter Katharina saßen Helmut Böttiger, Ursula Krechel und Jürgen Manthey auf dem Podium – ist so schief, dass man das Körnchen Wahrheit übersieht, das sie enthält.

Es gab eine versuchte Vereinnahmung der Literatur nicht nur durch maoistische Kader und die Betonköpfe der DKP, sondern auf breiter Front, und die von Jürgen Manthey herausgegebene Rowohlt-Reihe „das neue buch“ ist ein Beleg dafür, dass auch die undogmatische Linke dogmatisch war. Titel wie „Proletarische Lebensläufe“, „Neurose und Klassenkampf“ oder „Linksradikalismus 1 & 2“ sprechen für sich, und die politische Botschaft der signalroten Bücher liegt auf der Hand. Umso erstaunlicher, wenn Manthey heute behauptet, er habe zusammen mit Born die Literatur vor dem Zugriff der Politik gerettet.

Vor Tische las man’s anders. Ich erinnere mich, wie Manthey im Herbst 1973 das von mir herausgegebene Literaturmagazin 2 „Von Goethe lernen?“ zu ersetzen versuchte durch einen Sonderband zum Putsch in Chile, sprich Unterordnung der Literatur unter die Politik. „Jetzt dichten sie wieder“, schrieb Reinhart Baumgart in der „Zeit“ in seiner Besprechung des Magazins und brachte damit den Umschlag der dogmatischen Politisierung zur neuen Subjektivität auf den Punkt.

Trotzdem hat Manthey nicht ganz unrecht. Der Widerspruch klärt sich erst auf, wenn man das Wort Politik durch Zeitgeist ersetzt, statt die frühen Siebziger Jahre auf Vietnam und Kambodscha, Black Power und RAF einzuengen. Auch Woodstock und Poona, Drogen, Sex und Rock ’n’ Roll, Feminismus und Ökologie gehören zum Erbe von ’68. Aus dieser Perspektive rückt das Gesamtbild der Epoche in den Blick, in der Born ebenso wurzelt wie Piwitt, Bernward Vesper und Gudrun Ensslin – alle vier kannten sich persönlich. Selbst die wütende Negation des Zeitgeists im Werk von Rolf Dieter Brinkmann und Peter Handke blieb der Aufbruchsstimmung von ’68 verhaftet.

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