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Lessing

© Richard Lewis/dpa

Doris Lessing: Sterne und Schnuppen

Zum 90. Geburtstag von Doris Lessing: Als Nobelpreisträgerin eilte sie Herta Müller vor zwei Jahren voran. Doch im Unterschied zu der überraschend Geehrten ging der Würdigung von Doris Lessing ein jahrzehntelanges Raunen voran, bis sie mit 87 Jahren an die Reihe kam.

Etwas Gönnerhaftes schwang darin mit, es hieß, hier werde eine Autorin ausgezeichnet, die ihren künstlerischen Zenit schon lange überschritten habe. Zugleich schützte die schwedische Akademie vor Kritik, dass die „Klassikerin“ Lessing längst als unantastbar galt. Kaum jemand mochte bezweifeln, dass es sich um „nachgeholte Gerechtigkeit“ handelte.

Nachgeholt scheint nicht nur dieser Aufstieg in die Literaturaristokratie, nachgeholt wirkt vieles im Leben der im Iran geborenen und in Rhodesien aufgewachsenen wilden Farmerstochter Doris May Tayler. Mit 14 riss sie aus der Klosterschule von Salisbury, dem heutigen Harare, aus und bildete sich nur noch autodidaktisch weiter. Aus der ersten Ehe flüchtete sie in kommunistische Zirkel, wo sie den deutschen Emigranten Gottfried Lessing kennen lernte. Doch auch die Ehe mit ihm hielt nicht. 1949 entschied sich Lessing gegen Afrika und ging nach England, wo die Eltern herstammten. Da hatte sie mit der „Afrikanischen Tragödie“ (1949), in der sie den Auswirkungen der Apartheid im Privaten nachgeht, bereits ihr erstes Thema gefunden.

Im Unterschied zu der anderen großen Tochter des afrikanischen Südens, Nadine Gordimer, die das Gegen- und Miteinander der Weißen und Schwarzen bis heute literarisch begleitet, veränderte Lessing ihren Fokus. Nach dem Ungarnaufstand 1956 war ihr Techtelmechtel mit dem „utopischen Kommunismus“ beendet, sie wandte sich dem persischen Sufismus zu. Was in ihren ersten Romanen schon angelegt war, das Interesse an Frauenschicksalen und der Zukunft der Welt,prägte sich noch stärker aus. „Memoiren einer Überlebenden“ ist ein Dokument der apokalyptischen Stimmungslagen in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts.

Mit dem „Goldenen Notizbuch“ (1962) gelang Lessing eine literarische Sternstunde, die sich von den darauf folgenden feministischen Schnuppen schon deshalb absetzte, weil die diaristische Berichterstattung der Anne Wulf nicht nur der Bewegung vorauseilte, sondern auch ästhetische Maßstäbe setzte. Die Ungleichzeitigkeit politischer Reife in Europa lässt sich daran ermessen, dass es 16 Jahre dauerte, bis der Roman ins Deutsche übersetzt wurde. Später ließ Lessing die realistische Bestandsaufnahme hinter sich und wandte sich der Science Fiction und sogar der Oper zu, zu der Teile ihres „Argos“-Zyklus, eine Art kosmisches Archiv des Untergangs, verarbeitet sind. „Die Kluft“ (2007) dagegen führt zurück in eine matriarchalische Vorzeit und ist inspiriert von der evolutionären Kraft der Geschlechterdifferenz. Die Kritiker, klagte sie einmal, steckten einen in Schubladen. Aus ihnen hat sie sich stets befreit – auch um den Preis ästhetischer Irrtümer. Ihr größtes Glück ist es deshalb vielleicht, dass sie heute zu ihrem 90. Geburtstag keine Erwartungen mehr erfüllen muss. Ulrike Baureithel

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