zum Hauptinhalt
Dubai

© AFP

Erfahrungsbericht: Im Innern der Blase

Generation Golf: Michael Schindhelms Tagebuch "Dubai Speed" über Kultur und Krise im Emirat.

Heute ist Nationalfeiertag in den Vereinigten Arabischen Emiraten. In Dubai gibt es Volksmärsche und Kinderbelustigung, neben einheimischen Musikern treten syrische und andalusische Folkloregruppen sowie ägyptische Show-Pferde auf : ein Unterhaltungsprogramm des Ministeriums für Kultur und Jugend. Bloß der Burj Dubai, das mit 811 Metern höchste Gebäude Welt, wird nicht zum Festtag eröffnet. Die Einweihung ist erneut verschoben.

Wer weiß, was bis dahin noch alles geschieht. Vor einer Woche bat die Staatsholding Dubai World ihre Gläubiger aus aller Welt um Zahlungsaufschub. Der Grund: 60 Milliarden Dollar Schulden. Seitdem sausen neben den Hotel- und Immobilienpreisen auch die Aktienkurse der Golfregion in den Keller. Das Märchenland wird zum Schnäppchenmarkt.

Michael Schindhelm ist auch nicht mehr da. Im März 2007 war der glücklose Berliner Opernstiftungs-Direktor nach Dubai gegangen. Als Kulturdirektor der Dubai Culture and Arts Authority sollte er ab März 2008 den Bau eines Opernhauses und eines Museums der Weltkulturen vorantreiben. In Berlin gab’s Sparzwang, in Dubai wollte Schindhelm aus dem Vollen schöpfen. Zwischen zehnspurigen Autobahnen, künstlichen Inseln und Hochhaustürmen träumten seine neuen Chefs von einem Multiplex-Musiktheater mit zwei Dutzend Bühnen und einem Museumskomplex im Format XXL. Im Sommer 2009 hat Schindhelm das Handtuch geworfen, er lebt jetzt in Rom. Während der Louvre schon vor einem Jahr in seiner Zweigstelle in Abu Dhabi Richtfest feierte und fast zeitgleich I. M. Peis Museum für Islamische Kunst in Doha eröffnet wurde, ist die Kulturblase in Dubai geplatzt.

Der Visionär als Desillusionist? Michael Schindhelm – in der DDR als Chemiker ausgebildet, als Übersetzer, Dramaturg, Basler Opern-Intendant, Kulturmanager und Schriftsteller tätig –, dieser seine Karriere immer neu erfindende 49Jährige passt gut in die Retorten-Metropole und Glücksritterburg Dubai. Zum Glück war Schindhelm so eitel, über sein Abenteuer als Luxusmigrant unter Luxusmigranten Tagebuch zu führen. Ja doch, eitel: So genau will man nicht wissen, welchen Wagen er mietet, wie er mit der Hitze klarkommt, in der Tiefgarage beim Streit um die Parkbucht pöbelt oder womit er seine beiden Schildkröten füttert (das Weibchen heißt Europa). Aber die Eitelkeit ist auch ein Glück für den Leser. „Dubai Speed“, Schindhelms Jahr in der Paradiesbucht, gestattet einen aufschlussreichen Blick ins Innere der Blase.

Schindhelm tut gar nicht erst so, als ob er versteht. Er staunt, gibt sich Blößen und schreibt auf, was er auf der Megabaustelle Dubai erlebt. Den übergangslosen Wechsel von Wüste zu Autobahn, vom Traumstrand zur Plastikwelt der Malls. Kitsch, Künstlichkeit, Hybris, Simulation, Verschwendung. „Diese Stadt ist totale Mobilmachung,“ schreibt er, „ist nicht nur Wettlauf mit der Zeit, sie ist ein Einspruch wider die Zeit.“ Aber er nennt sie auch heute noch eine „kleine Zelle der Zuversicht“, ein multikulturelles Versprechen in der politisch wie religiös radikalisierten Nachbarschaft von Iran, SaudiArabien oder Jemen. Das Schlussbild: ein Pavillon am Strand, eine temporäre Kulturhalle unter arabischer Sonne – ein der Krise abgetrotztes, fingiertes Happy-End.

Schindhelm hofft, etwas von der Kapitalschwemme für die Kultur abzweigen zu können. Er möchte die Gier der Finanzmärkte in Neugier ummünzen und stellt sich eine Oper vor, die „Così fan tutte“, libanesisches Tanztheater, den Cirque du Soleil, eine Pekingoper und ein Bollywoodmusical auf dem Spielplan hat.

Interessanter als Schindhelms Zukunftspläne sind aber deren Zusammenstöße mit einem Kulturbegriff, der Kunst und Kommerz umstandslos gleichsetzt. Dass ein Musiktheater für 3000 Zuschauer schon aus Gründen der Akustik Unsinn ist, begreift keiner seiner Gesprächspartner. Wer behauptet, dass Museen keine Rendite abwerfen, hängt in ihren Augen einem veralteten, europäischen Denken an. Dubai, diese „Imagination einer Menschenwelt“, will auch die Kultur neu erfinden: als Profitsteigerungsmaßnahme, die den Marktwert einer Immobilie erhöht. Show-Pferde eben.

Schindhelm scheitert weniger an solchen Kampfansagen als an den undurchsichtigen Hierarchien irgendwie superwichtiger Männer, an der Nichtkommunikation seltsamer Konferenzen und Kulturratsrunden. Wer entscheidet hier eigentlich? Welche Zusage ist Hinhaltetaktik, welcher Handschlag verbindlich?

Schindhelm, der globalisierte Nomade, wehrt sich gegen den Vorwurf, er ignoriere die Zensur in der arabischen Welt. Er stilisiert sich zum Opfer der „Idomeneo“Affäre, belustigt sich über den Besuch der auf Kooperation erpichten drei „Generale“ (die Chefs der Staatlichen Museen zu Berlin, Dresden und München) und nimmt amüsiert zur Kenntnis, dass es beim Katalog zur Ausstellung „Muslim Faces“ (seinem einzigen realisierten Projekt) Probleme mit der Übersetzung gibt, wegen der Attribute für den Propheten. Schindhelm prangert die Arroganz des Westens an – und verkörpert sie zugleich. Sein mit den besten Absichten gepaarter Tatendrang ist ein für den Westen typisches Phänomen.

So wird die schillernde Blase Dubai zum Zerrspiegel unserer Moderne. Schindhelm skizziert Parallelen: zwischen der Reißbrett-Megacity, dem quadratischen Innenstadtschema des einst absolutistischen Mannheim und der importierten, Florenz kopierenden Baukultur von St. Petersburg: „Die Stadt ist das Produkt einer genialen Idee und rigoroser Menschenverachtung. In gewisser Weise gilt das wahrscheinlich für alle Städte. ... Wer hat Babel gebaut? Wer St. Petersburg? Wer Dubai?“

Das Grundstück für Schindhelms Opernprojekt ist inzwischen verkauft. Dort soll jetzt ein Parkhaus entstehen.

Michael Schindhelm: „Dubai Speed. Eine Erfahrung“, mit Fotos von Aurore Belkin. dtv München. 256 S.. 16,90 €. Der Autor liest am 10. 12. im Roten Salon der Berliner Volksbühne

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false