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Hanna Reitsch

© ullstein

Fliegerinnen: „Schneidige deutsche Mädel“

Einst populärer als der „Rote Baron“: Evelyn Zevenhagen über die deutschen Fliegerinnen 1918-1945.

Wer an die Pionierzeit der Fliegerei denkt, dem fallen sogleich die „tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“ ein. Einem davon, Baron Manfred von Richthofen, hat Regisseur Nikolai Müllerschön gerade einen Kinofilm gewidmet. Doch es waren auch immerhin 100 motorfliegende und über 1000 segelfliegende Frauen, die in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in der vermeintlichen Männerdomäne am Himmel unterwegs waren. Die Namen von Elly Beinhorn und Hanna Reitsch – zwei der erfolgreichsten Sportfliegerinnen – waren in ihrer Generation in aller Munde und in Deutschland fast ebenso populär wie der Amerikaner Charles Lindbergh. Selbst der „Völkische Beobachter“ der Nazis, die ansonsten die deutsche Frau lieber am heimischen Herd sahen, kam nicht umhin, einer fliegenden Frau Reverenz zu erweisen: Sie sei, schrieb das Zentralorgan der NSDAP 1935 über Elly Beinhorn, ein „schneidiges deutsches Mädel“.

Aber das war ein zweischneidiges Kompliment, weil es vergessen ließ, dass den fliegenden Frauen der Himmel keineswegs offen stand: Die Fliegerei als Beruf blieb den Frauen, im Gegensatz zur Sportfliegerei, lange versperrt. Die Verkehrsfliegerei war den schon im ersten Weltkrieg erprobten männlichen Piloten vorbehalten, und die Militärfliegerei war den Deutschen bis in die dreißiger Jahre ohnehin untersagt. In der 1935 neu begründeten Luftwaffe war für Frauen kein Platz, nur in der Endphase des Krieges durften sie vereinzelt als Fluglehrerinnen Rekruten für letzte, sinnlose Einsätze ausbilden.

Den Sportfliegerinnen war zwar gestattet, in ihren bis zu dreisitzigen Maschinen Passagiere mitzunehmen, aber nicht gegen Entgelt. „Dadurch, dass man der deutschen Fliegerin nur den Sportfliegerschein gibt“, beklagte sich 1932 die Fliegerin Thea Rasche, „werden ihre Erwerbsmöglichkeiten sehr erheblich eingeschränkt.“ Die wirtschaftlichen Nöte der Weimarer Zeit waren dann zwar in den ersten Jahren des Dritten Reichs vergessen, aber die Nationalsozialisten dachten gar nicht daran, die Männerdomäne für die „schneidigen Mädel“ freizumachen. „Nur wenige Frauen“, kommentiert Evelyn Zegenhagen in ihrem eben erschienenen Buch über deutsche Fliegerinnen zwischen 1918 und 1945, „konnten unter diesen Bedingungen ein solches fliegerisches Talent entwickeln und nachweisen, dass ihnen eine berufliche Existenz in der Luftfahrt, etwa in der Luftfahrtforschung, möglich geworden wäre“.

So ist die Geschichte der fliegenden Frauen vor 1945 eine Geschichte der Sportfliegerei. Zegenhagen schreibt sie allerdings nicht als solche, sondern als Beitrag zu Entwicklung des Geschlechterverhältnisses und kommt zu dem Schluss, dass die deutsche Luftfahrt zwischen den Kriegen „stark männerbündsich ausgerichtet“ war. Umso überraschender ist ihr Befund, dass Deutschland damals dennoch wesentlich mehr Fliegerinnen besaß als vermutet. Ihr Buch enthält, neben soziologischen und gender-theoretischen Überlegungen, eine Porträtgalerie der namhaftesten Sportfliegerinnen und ihrer namenlosen Kolleginnen vor allem in der Segelfliegerei.

Dabei geht es ihr weder um Heldinnenmythen noch um eine Dämonisierung von „Täterinnen“ der NS-Fliegerei wie Hanna Reitsch oder Melitta Schiller, die in der Luftfahrtforschung des „Dritten Reichs“ sogar eine aktive Rolle spielen durften; beide trugen wesentlich zur Entwicklung der Sturzkampfflug-Technologie bei. Für Evelyn Zegenhagen passten sich die beiden Frauen „so umfassend an die Normvorgaben ihrer männlich dominierten Arbeitssphäre an, dass sowohl Reitsch als auch Schiller jeglichen Bezug auf ihr weibliches Geschlecht minimalisierten oder verleugneten.“ Das mochte sein, aber es fehlt in der Geschichte der deutschen Sportfliegerei keineswegs an Sensationen und Demonstrationen weiblicher Emanzipation.

Schon die erste deutsche Nachkriegsfliegerin Thea Rasche, die ihren Flugschein 1925 erwarb, konnte 1926 als einzige Frau neben 28 Männern den ersten Preis in ihrer Klasse erringen und machte mit sensationellen Langstreckenflügen von sich reden. Von der US-Presse wurde sie als „beste Fliegerin für den Frieden der Welt“ gefeiert. Vera Bissing errang 1936 den Olympiasieg im Frauenkunstflug, während Hanna Reitsch zur selben Zeit durch mehrere Rekordflüge glänzte. So sehr glänzten die Erfolge deutscher Fliegerinnen, dass sich Hermann Göring – selbst einmal Kampfflieger im Ersten Weltkrieg – 1933 zu der nach NS-Ideologie unpassenden Bemerkung hinreißen ließ: „Ich glaube, wohl niemand eignet sich besser als Botschafterin des Volkes zum Volke wie gerade die Flieger, und noch mehr die Fliegerinnen.“

Das war natürlich zum Fenster hinaus gesprochen, denn wenig später sorgte das Regime durch Regeländerungen für den Ausschluss von Frauen bei Flugsportveranstaltungen. Als Luftwaffenhelferinnen und Testfliegerinnen der Luftfahrtindustrie waren Frauen erst in der Endphase des Krieges wieder willkommen; im November 1944 erließ das Oberkommando der Luftwaffe Richtlinien für die Auswahl und den Einsatz von Frauen als fliegertechnisches Personal. Erfasst wurden etwa 150 000 dafür geeignete Frauen, aus denen 20 000 für die fliegertechnische Ausbildung ausgewählt werden sollten. Bis März 1945 sollten 50 Prozent der Flugzeugmechaniker und 30 Prozent der Flugzeugmotorenschlosser durch Frauen ersetzt werden. Als letzte Reserve für Kampfeinsätze sollten allerdings nicht Fliegerinnen, sondern ausgewählte Jungmänner als „Volkssturm der Lüfte“ zum Einsatz kommen; nur als Ausbilderinnen waren ehemalige Motor- und Segelfliegerinnen willkommen. Aber weder schneidige Jungs noch schneidige Mädel konnten das Ende verhindern, dem das Regime mit fliegenden Fahnen entgegenging.





– Evelyn Zegenhagen:
„Schneidige deutsche Mädel“. Fliegerinnen zwischen 1918 und 1945. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 504 Seiten, 42 Euro.

Hannes Schwenger

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