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McCourt

© dpa

Frank McCourt: Der irische Schopf und der amerikanische Sumpf

Das Glück einer unglücklichen katholischen Kindheit: zum Tod des Bestsellerautors Frank McCourt.

Erst als Rentner, im Alter von 66 Jahren, konnte er es dem ungnädigen Schicksal heimzahlen. In seinem literarischen Debüt „Die Asche meiner Mutter“ erinnerte Frank McCourt sich an seine beschädigte Kindheit und wunderte sich, wie er sie überhaupt hatte überleben können. Denn „schlimmer als die normale unglückliche Kindheit ist die unglückliche irische Kindheit“, schrieb er, „und noch schlimmer ist die unglückliche irische katholische Kindheit“. Der Bericht über seine beiden ersten Lebensjahrzehnte war so eindringlich, dass er die Bestsellerlisten weltweit eroberte und 1997, ein Jahr nach Erscheinen, obendrein den Pulitzer-Preis und den National Book Critics Circle Award erhielt. Auch Alan Parkers Verfilmung machte Furore.

McCourts Leben begann obendrein im Zeichen eines zerbrochenen amerikanischen Traums. Als ältestes von sieben Kindern irischer Einwanderer war er 1930 im Brooklyn der Depressionszeit zur Welt gekommen, aber schon vier Jahre darauf kehrte die Familie aus Not wieder in die irische Heimat zurück. Dort warteten noch schlimmere Verhältnisse. In Limerick, im Süden der Insel, litt die Familie Hunger. Drei Geschwister starben, der Vater trank, und die Mutter verzweifelte an all dem Elend. Wir hatten, erklärte McCourt einmal, nichts als „Geschichten, die uns der Vater über die irischen Freiheitskämpfer sang, oder der Bild für Bild von der Mutter getreu nacherzählte Film, das war unser einziger Reichtum. Wir besaßen nichts, aber die Geschichten und Lieder gehörten uns höchstpersönlich. Ich haute meinem Bruder eine runter, wenn er es wagte, eine meiner Geschichten Freunden zum Besten zu geben“.

Der Humor verließ McCourt jedenfalls nicht – so zumindest lesen sich seine lakonischen Bemerkungen über Klerushörigkeit, Dauerregen und die verdammten Engländer im Nachhinein. Heroisch in der Anstrengung, und mit Sinn für die groteske Dimension des Ganzen behauptete er sich gegen alle Demütigungen. Unverkennbar ist aus dem Tonfall des jungen Frank schon der Triumph desjenigen herauszuhören, der es geschafft hat, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen – gegen jede Wahrscheinlichkeit. Denn mit 19 Jahren kehrte er auf Dauer nach Amerika zurück.

Er schlug sich als Barkeeper, Kanarienvogelzüchter und GI durch, war eine Zeitlang in Bayern stationiert. Schließlich wurde er, nachdem er sich autodidaktisch weitergebildet hatte, zur Lehrerausbildung zugelassen. Eine fast 30-jährige Laufbahn als Pädagoge schloss sich an – im Bewusstsein, etwas Wichtiges zu tun und zugleich mit dem ständigen Bedauern, seiner wahren Berufung, dem Schreiben, nicht nachgehen zu können. Nein, erklärte er, „ich habe das Lehrersein nicht immer geliebt. Ich war in unbekannten Gewässern unterwegs. Man ist auf sich gestellt im Klassenzimmer, ein Mann oder eine Frau vor fünf Klassen täglich, fünf Klassen von Teenagern. Eine Energieeinheit gegen 175 Energieeinheiten, 175 tickende Zeitbomben, und man muss Wege finden, seine Haut zu retten. Vielleicht mögen sie einen, vielleicht lieben sie einen sogar, aber sie sind jung, und es ist Sache der Jungen, die Alten vom Planeten zu schubsen“.

Gleich zwei weitere Erinnerungsbücher hat er über den neuen Lebensabschnitt geschrieben: „Ein rundherum tolles Land“ und „Tag und Nacht und auch im Sommer“. Auch sie wurden Erfolge, reichten aber weder im Hinblick auf die Resonanz wie die literarische Qualität an sein fulminantes Erstlingswerk heran. Der Kontrast von Pathos, Komik und Unglück erscheint weniger stark und zwingend – auch weil die prononcierte Naivität des Erzählers mit dem Ende der Kindheit nicht mehr überzeugend wirkte.

Sein rebellischer Geist aber blieb und setzte sich durch, wenn er etwa seinen eigenwilligen Unterricht als Englischlehrer an New Yorker Highschools beschrieb. So imaginierte er die Einwände der Schulleitung gegen seine Methoden: „Mr, McCourt, was um Himmels willen geht eigentlich in diesem Raum vor? Herrgott noch mal, Sie lassen die Kinder aus Kochbüchern vorlesen. Rezepte singen? Wollen Sie uns veräppeln? Könnten Sie freundlicherweise erklären, was das mit Englischunterricht zu tun hat? Wo bleibt da die Literatur, die englische, die amerikanische, die Weltliteratur? Sie wissen doch ganz genau, dass diese jungen Leute sich auf ein Studium an einem der besten Colleges des Landes vorbereiten, und Sie wollen sie so in die Welt hinausschicken?“ McCourt hatte nichts weniger im Sinn als mangelnde Selbstständigkeit.

Als Quittung für den Stapel an gefälschten Entschuldigungen, mit dem seine Schüler versuchten, dem Unterricht fernzubleiben, ließ er die Zöglinge einmal fingierte Entschuldigungsbriefe für Attila, Adam, Judas und Al Capone schreiben. Unter dem Abgelieferten fand er „die besten Texte an amerikanischen Highschools – roh, real, luzide, knapp“.

Alle drei dieser Bekenntnisschriften zählen zu dem, was man im Englischen „Memoir“ nennt, zu einer Gattung also, die bewusst zwischen Roman und Autobiografie oszilliert. An dem unbedingten Willen zur Pointe und der koketten Selbstinszenierung, mit der McCourt Faktisches an den Rand drängte, mag man trotzdem gelegentlich Anstoß nehmen. Das Ausmaß an großherzigem Charme und menschenfreundlicher Zuversicht, die sein Werk durchziehen, wird davon nicht geschmälert. Am Sonntag ist Frank McCourt in New York mit 78 Jahren einer Hirnhautentzündung erlegen.

Marianna Lieder

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