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Frank Schirrmachers "Payback": Hier werden Sie gedacht

Krafttraining für den Denkmuskel: Frank Schirrmacher empfiehlt in „Payback“ Strategien gegen die Informationsflut.

Von Gregor Dotzauer

Menschen, die Frank Schirrmachers Buch „Payback“ bestellt haben, so informiert die Amazon-Website, haben auch den Scholz & Friends-Knigge „Über den Umgang mit E-Mails“ gekauft, „Das große 1x1 der Erfolgsstrategie“, Max Ottes Generalpolemik „Der Informationscrash – Wie wir systematisch für dumm verkauft werden“, Margot Käßmanns Selbstvergewisserungsband „In der Mitte des Lebens“, Botho Strauß’ jüngste Notizen „Vom Aufenthalt“ und Hans Magnus Enzensbergers mathematische Belustigungen „Fortuna und Kalkül“.

Kann eine solche Auskunft eigentlich etwas von dem Buch erfassen, das Schirrmacher geschrieben hat? Anders gefragt: Kann man sich von den Rückkopplungseffekten, die derartige Informationen auslösen, überhaupt freimachen? Noch anders gefragt: Wie könnte die unschuldige Lektüre eines Textes aussehen, der von eben solchen Rückkopplungseffekten handelt und von sich aus ein komplexes Netz von Zusammenhängen herstellt?

Wir besitzen ein Vorwissen über den Autor, das unsere Erwartungen steuert: die Gabe des „FAZ“-Herausgebers und Kulturchefs, von der neuen Affinität zwischen Natur- und Geisteswissenschaften bis zur Überalterung unserer Gesellschaft Zeitthemen zu erkennen und mit Pathos zu intonieren. Und könnte man sich nicht auch einbilden, über das Buch längst Bescheid zu wissen, nachdem Schirrmacher seine Thesen auf fast allen medialen Kanälen bereits verbreitet hat? Am Montag mit Günther Jauch bei „Beckmann“, am Sonntag bei „Titel, Thesen, Temperamente“, letzte Woche im „Spiegel“ – und seit einem Monat im Online-Video auf John Brockmans edge.org.

Das Erschreckende ist, dass die Titelverweise von Amazon tatsächlich etwas über die Fallhöhen von „Payback“ aussagen. Der kalte Datenbankblick von außen, dessen lähmende Macht und Einflussnahme auf unsere Psyche Schirrmacher beschreibt, verrät etwas über das Innere seines eigenen Buches. Es schlägt den Bogen zwischen gesellschaftlicher Bestandsaufnahme und persönlicher Betroffenheit, zwischen Kafkas „Verwandlung“ als Symbol unserer anthropologischen Transformation und dem Glauben des englischen Physikers Roger Penrose an die Unberechenbarkeit des menschlichen Denkens, zwischen intellektuellem Höhenkamm und geradezu populistischer, direkter Ansprache des Lesers.

„Payback“ ist das Buch eines Journalisten, der im Angesicht seiner eigenen Überforderung durch den information overload von Internet und Handy in konsequenter Ich-Perspektive dem Leser erklären will, „warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen“. Das Ganze ist im vollen Bewusstsein, dass jedes maschinenstürmerische Ansinnen nur lächerlich wäre, halb kulturkritisches Pamphlet, halb Ratgeber: in der Fülle des ausgebreiteten Materials immer anregend, mit leichter, gedanklich allerdings oft fahriger Hand geschrieben und in der Verengung des Horizonts auf die unmittelbare Gegenwart legitim.

Frank Schirrmacher beschreibt den historischen Wendepunkt, den er in den sich verselbstständigenden Informationstechnologien sieht, mit einer Dringlichkeit, die das bisher nur vage Empfundene begrifflich klar zu konturieren versucht – auch wenn die Klagen über Zerstreuung und Überreizung älter sind als das Netz. Mit Recht fürchtet er ein Lesen, das ins maschinelle Gelesenwerden umschlägt, ein Denken, das uns denkt: den Übergang von Selbstbestimmung zu Fremdbestimmung.

„Die innere Stimme wird eine äußere, und zwar in einem Umfang, der noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen wäre.“ Und weiter: „Während wir aus Nachrichten bloße Informationen und aus Informationen einförmige Daten machen, lernen die Computer, den umgekehrten Weg zu gehen. Das ist ein weiterer Schritt zur freiwilligen Maschinenwerdung des Homo sapiens.“

Der Autor spricht von „digitalen Doppelgängern“, die aus den im Netz hinterlassenen Daten entstehen, und von einem „darwinistischen Wettlauf zwischen Mensch und Maschine“. Zugleich weiß er, dass wir in einer „Zwickmühle“ stecken, etwa wenn wir Suchmaschinen benutzen: „Wir brauchen die Software, die uns analysiert, um mit der Informationsflut fertig zu werden. Aber indem sie uns analysiert, reduziert sie immer mehr unser Gefühl dafür, dass wir wählen können und einen freien Willen haben.“

Schirrmachers Anliegen, die Rettung des Menschlichen vor dem Maschinellen, ist ehrenwert. Gerade deshalb ist die Leichtfertigkeit fragwürdig, mit der er die beiden Bereiche für völlig getrennt und die Überlegenheit der humanistischen Perspektive für gegeben hält. „Die mathematischen Modelle“, behauptet er, „verstärken den Glauben daran, dass Menschen berechenbar denken und handeln; wir tun es aber – glücklicherweise – nicht.“ Woher weiß er das so genau? Die Erfassung allen Verhaltens in algorithmischen Bäumen mag Grenzen haben, doch grundsätzlich sind nicht nur Konsumroutinen, sondern auch moralische Entscheidungen vorhersagbarer, als uns lieb ist.

Und wenn Schirrmacher anmerkt, dass uns Computer um „Kreativität, Toleranz und Geistesgegenwart“ beneiden müssten, hat er womöglich eine emphatisch übermenschliche Vorstellung davon, was Kreativität ausmacht. Es ist völlig klar, „dass kein Mensch, auch kein Physiker, sich bedingte Wahrscheinlichkeit zweiten Grades wirklich vorstellen kann“. Der Schluss aber, man sei dabei, „unmathematisch gesprochen, sehr nahe an dem dran, was wir Schicksal nennen“, macht ein Ereignis nur subjektiv fasslich – auf Kosten einer metaphysischen Vernebelung.

Schirrmacher spielt unterschiedliche Vokabulare gegeneinander aus, als würden sie sich nicht auf ein und dieselbe Wirklichkeit beziehen – eines der geistigen Selbsterfahrung, das auch als Illusion noch nützlich sein mag und das wir gar nicht loswerden können, und ein objektivierendes in strikter Außenperspektive. Es ist ja noch keineswegs über die Zukunft der Künstlichen Intelligenz entschieden: zum einen, weil wir KI gar nicht definieren können, zum anderen, weil es darauf immer nur praktische und keine philosophischen Antworten geben wird. Noch weniger wissen wir, was das letzlich ist – unser Bewusstsein.

Das Hauptdilemma des Buchs aber ähnelt der gern gestellten Frage, ob an einer Misere denn nun das System schuld sei oder der Einzelne. Schirrmachers Lösungsvorschlag besteht darin, dass er im analytischen ersten Teil das Technosystem zum Schuldigen erklärt, im zweiten Teil aber das Individuum aufruft, sich gegen alle Zumutungen zu wehren. Erst malt er die Gefahr einer allmächtigen Gegenintelligenz an die Wand, die sich „in fast alle Winkel unserer Seelen eingepflanzt“ hat, dann empfiehlt er ein wenig Gehirnjogging: „Es ist an der Zeit, die trügerische Verankerung unserer Lebenssicherheit in Zahlen zu durchschauen. Jetzt geht es um das, was jeder tut, wenn er zu viel Kekse gegessen hat. Es geht um Krafttraining für den Muskel der Selbstkontrolle.“

Er empfiehlt „mindfulness“ – Achtsamkeit: „Wir können die Informationsflut nicht bändigen, aber wir können lernen, ohne Ich-Erschöpfung aufmerksam zu werden.“ Für den intellektuellen Aufwand, den dieses Buch treibt, ist dies ein ausgesprochen schlichter Ratschlag. Das Gefühl, einer technologischen Übermacht ausgesetzt zu sein, geht sehr wohl mit dem subjektiven Trotz zusammen, sich nicht „auffressen“ zu lassen. Man kann nur darauf hoffen, dass diese Übermacht nicht ganz so undurchdringlich ist, wie Frank Schirrmacher es darstellt.

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