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Meier

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Gerhard Meier: Arabesken aus Niederbipp

Bei Robert Walser hatte er gelernt, wie man das Kleine und Unscheinbare verzaubert, bei Marcel Proust und Claude Simon sah er, wie man es ins Epische transportiert. Provinz und Welt: zum Tod von Gerhard Meier.

Von Gregor Dotzauer

Niederbipp, so hieß die 4000-Seelen-Gemeinde im Kanton Bern, die ihm, abgesehen von einer Studienunterbrechung in Burgdorf, dem Militärdienst und einem Sanatoriumsaufenthalt infolge einer lebensverändernden Tbc-Erkrankung, 91 Jahre lang eine Heimat war. Niederbipp oder, in die Fiktion seiner Textgespinste übersetzt, Amrain. Was die Welt, die ihm dort die Sinne überfließen ließ, nicht größer machte in der mikroskopischen Dimension, in der er sie wahrnahm, aber auch kein Stückchen kleiner. Der Schweizer Schriftsteller Gerhard Meier, der 54 Jahre seines Lebens brauchte, bevor er seine Anstellung als technischer Leiter und Designer der Niederbipper Lampenfabrik aufgab, um sein Werk in Angriff zu nehmen, begann 1964 als Lyriker („Das Gras grünt“). Er schrieb dann Kurzprosa und entwickelte schließlich mäandernde, in Synästhesien schwelgende Bewusstseinsströme, in denen seine Kunst erst richtig aufblühte. Auch das gehörte zum literarischen „Dienstweg“, den er als Niederbipper einzuhalten gedachte: „erst Provinzler, dann Weltbürger“.

Bei Robert Walser hatte er gelernt, wie man das Kleine und Unscheinbare verzaubert, bei Marcel Proust und Claude Simon sah er, wie man es ins Epische transportiert. In den reflektierenden Passagen seiner Romane konnte man das lesen, wie er überhaupt jede Kunst in den Niederbipper Kontext einzubetten wusste: Bruckner und Schostakowitsch waren ihm so vertraut wie Böcklin und Caspar David Friedrich. Im Mittelpunkt seines Werks steht die mehrfach ausgezeichnete „Baur und Bindschädler“–Tetralogie. Sie fängt an mit der „Toteninsel“ (1979) und endet mit dem „Land der Winde“ (1990).

Die Arabesken ihrer dialogisierenden Monologe sehen, wie Jochen Jung einmal bemerkt hat, „von weitem bisweilen wie Bernhard aus, von nahem dann aber wie Handke“. Die Suche nach einem ruhigen, friedlichen, die Dinge beseelenden Atem verbindet ihn tatsächlich eher mit Handke, der in Meier prompt einen Wahlverwandten entdeckte: 1979 trat er ihm die Hälfte des an ihn verliehenen Kafka-Preises ab. Am Sonntagmorgen ist der Niederbipper Ehrenbürger Gerhard Meier zwei Tage nach seinem 91. Geburtstag gestorben.

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