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Geschichte der Bundesrepublik: Sicher ist das

Eckart Conze widmet seine Geschichte der Bundesrepublik dem zentralen Thema der Deutschen.

Geschichte ist immer Gegenwart", lauten die ersten Worte von Eckart Conzes glänzend geschriebener Biografie der Bundesrepublik. Was bedeutet die Vergangenheit also für das heutige Deutschland? Wie geht es weiter mit den Deutschen in der globalisierten Welt, in Zeiten weltweiter Herausforderungen durch Wirtschaftskrise, Klimawandel und Terrorismus? Wird das bundesrepublikanische Deutschland seine Erfolgsgeschichte fortsetzen? Conze betrachtet all diese Fragen durch eine Art Schutzbrille. Denn die Geschichte der Bundesrepublik wird für ihn bestimmt von der Suche nach Sicherheit. Ihr ordnet der Marburger Historiker sein klug komponiertes Opus magnum von über tausend Seiten unter. Und es fällt schwer, ihm dabei zu widersprechen: Selten war das Thema Sicherheit im ökonomischen wie im militärischen und polizeilichen Sinne aktueller als heute. Man könnte geradezu den Eindruck gewinnen, als hätten die Deutschen das Thema ihres Lebens neu entdeckt. Schließlich ist die deutsche Geschichte seit ihren Anfängen von der Reaktion und oftmals auch fatalen Überreaktion auf äußere wie innere Herausforderungen oder vermeintliche Bedrohungen geprägt.

Zugleich scheint es gegenwärtig, als ob der Staat an sich wieder zu seinen Ursprüngen zurückkehrt. Conze überrascht das nicht. Denn der moderne Territorialstaat verdankt seinen Aufstieg nicht zuletzt dem Verlangen der Menschen nach Sicherheit. Er ist das Ergebnis der Versuche, einen Schutzraum vor Unsicherheit zu bieten. Conze erinnert daran, wie verunsichert die deutsche Gesellschaft nach 1945 war, nicht nur durch akut wahrgenommene Gefahren vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, sondern mindestens ebenso sehr durch die moralische Erschütterung und Orientierungslosigkeit infolge der Verbrechen des "Dritten Reiches".

Diese Suche nach Sicherheit in den Anfängen der Bundesrepublik - politisch, ökonomisch und soziokulturell - hat scheinbar nie aufgehört. Conze dekliniert sie durch alle Phasen der Nachkriegsgeschichte: Nach dem Sicherheitsstreben der 1950er Jahre unter Konrad Adenauer folgte der Glaube an die Sicherheit von Wachstum und Fortschritt in den Sechzigern und frühen Siebzigern. Diese Zukunftssicherheit wurde jedoch alsbald erschüttert. Schließlich sind die 1970er Jahre auch als das Kapitel der "inneren Sicherheit" in kollektiver Erinnerung. Das nachfolgende Jahrzehnt stand gleichfalls unter dem Paradigma der Sicherheit - dieses Mal der äußeren: Die internationale Sicherheitspolitik im Zeichen von Nato-Doppelbeschluss und Friedensbewegung hatte elementare Auswirkungen auf die westdeutsche Gesellschaft. Die Wiedervereinigung und ihre Folgen haben dann nicht nur die Ostdeutschen verunsichert. Sie brachten auch in den alten Bundesländern gewachsene Sicherheiten ins Wanken - auf allen Ebenen und Feldern der Politik.

Wie ist das vereinte Deutschland damit umgegangen? In seiner Außenpolitik erstaunlich souverän, könnte die Antwort lauten. Denn all denjenigen, die meinen, die Deutschen müssten unter den sich wandelnden internationalen Bedingungen einen stärker an nationalen Interessen ausgerichteten Kurs beschreiten, hält Conze entgegen, dass die "alte" Bundesrepublik ebendies von Anbeginn tat. Allerdings habe sie ihre Außenpolitik nicht mit dem Anspruch des autonomen nationalen Machtstaats in der Tradition des 19. Jahrhunderts, sondern multilateral, kooperativ und integriert verfolgt. "Die Bundesrepublik hat ihre nationalen Interessen so weit wie möglich mit denen anderer Staaten verflochten, aber aufgegeben hat sie sie nicht."

Auch im Innern erkennt Conze ähnliche Konstanten bis in die heutige Zeit. Der Umbau der sozialen Sicherungssysteme angesichts der demografischen Entwicklung und der finanziellen Belastung der öffentlichen Haushalte und der Sozialkassen hat die historisch alte Frage wieder aufgeworfen, ob soziale Risiken eher kollektiviert oder dem Individuum überlassen bleiben sollen. Dabei weist Conze darauf hin, dass neoliberale Forderungen wie Flexibilisierung und Entstandardisierung zwar den Fähigkeiten und Möglichkeiten des Einzelnen besser gerecht werden, aber zugleich die Unsicherheit erhöhen. Die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik gerät hier in Gefahr. Daher sieht Conze im größten Konjunkturpaket in der Geschichte der Bundesrepublik, das im Januar dieses Jahres auf den Weg gebracht wurde, nicht nur ein Mittel im Kampf gegen die Rezession. Für ihn geht es vielmehr um das Schutzversprechen des Staates an seine Gesellschaft: "Es geht um Sicherheit." Quod erat demonstrandum.


Eckart Conze: Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart. Siedler Verlag, München 2009. 1071 Seiten, 39,95 Euro.

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