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Gisela Elsner: Im Wald, da sind die Wölfe

Zu Gisela Elsners 70. Geburtstag erscheint postum ihr antifaschistischer Roman "Heilig Blut".

Beim Gedanken an die Schriftstellerin Gisela Elsner schiebt sich eine ausladende Kleopatra-Perücke vor das innere Auge. Auf einem unregelmäßig verfugten Weg zwischen zwei Ost-Berliner Plattenbauten stakst eine stark geschminkte Frau einher, die einen für die Umgebung viel zu eleganten schwarz-weißen Mantel trägt. Im April 2000 feierten Gisela Elsners Sohn Oskar Roehler und die kongeniale Hauptdarstellerin Hannelore Elsner die Premiere des Films "Die Unberührbare" - der auf der Biografie der Schriftstellerin basierte.

Am heutigen 2. Mai wäre Gisela Elsner, Tochter eines großbürgerlichen Industriemanagers aus Nürnberg, siebzig Jahre alt geworden. Am 15. Mai 1992 stürzte sich die Autorin, die ab Mitte der sechziger Jahre mit kaltblütigen Skandalromanen wie "Die Riesenzwerge" oder "Das Berührungsverbot" internationale Berühmtheit erlangt hatte, aus dem vierten Stock eines Münchner Krankenhauses. Mit diesem Schritt folgte die einstige Protagonistin des "Radical Chic" und des "Schwarzen Realismus", einer der wenigen weiblichen Stars der Gruppe 47, ihrer Romanfigur Lilo Besslein. Diese wählt in "Abseits" von allen unverstanden den Freitod. Bei Gisela Elsner als "Humoristin des Monströsen" (Hans Magnus Enzensberger) war prinzipiell kein Happy-End vorgesehen.

"Ich werde immer unerbittlicher", bekannte sie 1987 in der DKP-Zeitung " Unsere Zeit". Als überzeugte Kommunistin zeigte sie sich von der Wende enttäuscht, ja verbittert. In der DDR galt sie zwar als westdeutsche Parademarxistin, doch wurden von ihr nur wenige und eher harmlose Erzählungen veröffentlicht. Eine weitere Niederlage durchlitt Gisela Elsner, als ihr Hausverlag Rowohlt die Zusammenarbeit aufkündigte. Deshalb konnte ihr nach eigenem Bekunden "antifaschistischer" Roman "Heilig Blut", den mehrere deutsche Verlage ablehnten, nur 1988 in der UdSSR auf Russisch erscheinen. Der Berliner Verbrecher Verlag hat es sich zur verdienstvollen Aufgabe gemacht, Gisela Elsners Prosawerk dem Vergessen zu entreißen. Dort liegt nun "Heilig Blut" erstmals auf Deutsch vor. Die Hamburger Germanistin Christine Künzel hat den Text aus dem teilweise kaum lesbaren Manuskript rekonstruiert.

"Auf der Jagd" heißt eine kürzere Vorläuferversion. Gisela Elsner aber strebte, so die Herausgeberin, eine Analogie zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus und deren gemeinsamer "Sprache des Glaubens" (Victor Klemperer) an. "Heilig ist das Blut" war eine Rundfunkrede überschrieben, die der Leiter des Rassenpolitischen Amtes der NSdAP im August 1935 hielt, um vor allem katholische Jugendliche zu gewinnen. In der Dorfkapelle des fiktiven niederbayerischen Orts Heilig Blut befindet sich eine Madonnenstatue, deren Kopf nach dem Axthieb eines Hussiten geblutet haben soll. Ihre Verehrung des "arischen" Blutes zieht alljährlich eine vierköpfige Gesellschaft von Altnazis in den Wald von Heilig Blut, um sich auf einer Jagdhütte einzumieten.

Da Gisela Elsner nicht nur als Klosterschülerin der Englischen Fräulein, sondern auch in ihrer thematischen Unerbittlichkeit einen Hang zu Passionsgeschichten hatte, endet ihr Jagd- und Verwechslungsroman mit einem Todesopfer. Erlegt wird im wahrsten Sinne des Wortes der junge, unbeteiligte Gösch. Widerstrebend war er in Vertretung seines Vaters mit den Kriegsveteranen mitgefahren.

"Obwohl sein nicht nur fettiges, sondern auch schon recht schütteres, mittelblondes Haar hinten beinahe zu den Schultern reichte und vorn die Querfalten auf seiner Stirn verdeckte, sah man es ihm durchaus an, dass er kürzlich vierzig Jahre alt geworden war. Auch wölbte sich über dem Bund seiner flaschengrünen Cordhose ein ansehnliches Bäuchlein, über das er sich in diesem Augenblick mit beiden Händen hinwegstrich." So klingt es, wenn Gisela Elsner eine Hauptfigur präsentiert: Dem einstigen Zivildienstleistenden Gösch bringt sie nicht mehr Sympathie entgegen als einem Insekt unterm Mikroskop.

"Weil Stößel der Erwerbssinn abging, wurde er von seinem Schwiegervater wie ein Krüppel behandelt", heißt es in "Das Berührungsverbot". Der Gebrauchsgrafiker Gösch wird gleichfalls vom Vater wegen seines geringen Einkommens verachtet. Und auch ihrer wohl biografisch bedingten Aggression gegen Fabrikanten lässt die Autorin in "Heilig Blut" freien Lauf: Ein depressiver Knopffabrikant läuft durch den Wald, um sich von einem entflohenen Wolfsrudel auffressen zu lassen. Stattdessen stirbt Gösch - durch eine Kugel aus dem Gewehr der erschreckend vitalen Ewiggestrigen.

In "Heilig Blut", dieser Karikatur altdeutscher Enthemmungsrituale, führte Gisela Elsner noch einmal ihr persönliches Pandämonium vor, diesmal mit Fichtennadelaroma. Es gilt, was der Kritiker Günter Blöcker über sie schrieb: "Die eigentümliche Tendenz der Elsnerischen Phantasie, scheinbar Harmloses so zu sehen und interpretierend anzuordnen, dass unversehens Bösartiges, ja Bestialisches daraus hervorschaut, bleibt nach wie vor zu bewundern."

- Gisela Elsner: Heilig Blut. Roman. Verbrecher Verlag, Berlin. 250 Seiten, 14 Euro.

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