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© dpa

Hans Werner Henze: Günstling des Glücks

Jens Rosteck hat die erste Biografie über den Komponisten Hans Werner Henze geschrieben.

Unter den professionellen Betrachtern von klassischen Musikern und ihrer Musik gibt es solche, die spitzfindig kombinieren und klar denken können, und solche, die sich aufs klingende, hellhörig machende Schreiben verstehen. Selten fallen beide Talente zusammen, was insbesondere für die Biografieschreibung ein Unglück darstellt. Der Musik- und Literaturwissenschaftler, Pianist, Kabarettist und „erfahrene Biograf“ Jens Rosteck beherrscht beides und zwar so brillant, dass einen bei der Lektüre seines knapp 600-seitigen „Lebensresümees“ über den westfälisch-lateinischen Komponisten Hans Werner Henze bisweilen gern der Schwindel packt.

Wer spricht hier gerade, so fragt man sich, etwa wenn von Henzes „Wiedergeburt aus dem Geiste des Italianità“ die Rede ist, von seinen „elliptischen Memoiren“ (den „Reiseliedern mit böhmischen Quinten“) oder vom extraordinären „Seelen-Echo“ zwischen dem Tonsetzer und der Dichterin Ingeborg Bachmann: „Prinz und Prinzessin, Leonce und Lena. Eine Sternstunde hat geschlagen. Zwei Inseln in einem Meer der Mediokrität und Ignoranz. Zwei Krebse, bereit, sich je nach Bedarf zu panzern oder die Scheren auszufahren.“ Henze und Bachmann begegnen sich 1952 auf einer Tagung der Gruppe 47, verfallen, erwählen einander für alle Zukunft.

Hören wir hier nun Henzes Stimme, die des königlichen Fabulierers, der er auch ist und immer war? Oder gar die der Bachmann, seiner „großen Schwester“ und tragisch umflorten Sphinx? Spricht so ein Autor, der sich bislang an Lotte Lenya und Kurt Weill abgearbeitet hat, an Bob Dylan und Oscar Wilde? Rosteck tut es, wagt es, und die zitierte Stelle markiert zweifellos den Gipfelpunkt seiner hoch eleganten, aber nicht unprätentiösen Formulierungslust. Schlimmer indes, schwärmerischer wird es nicht. Keine Angst also vor allzu Gefühligem in den 15 säuberlich verzahnten, gut gebauten Kapiteln. Von Henzes bitterer Vorkriegsjugend in Gütersloh bis zum Zikaden umzirpten Eremitendasein des „Alten“ auf La Leprara, dem Gut in der römischen Campagna, spannt sich ihr Bogen. Ein, zwei, drei Leben, mindestens.

Rosteck – der den Leser geschickterweise im Unklaren darüber lässt, wie oft er dem Künstler persönlich nahe gekommen ist (und ob überhaupt) – erliegt Henzes geistiger Erotik ganz offensiv. Seine stilistische Emphase bedeutet Bekenntnis. Er infiziert sich mit des Meisters hohem Ton, dem „festen Glauben an einen moralischen, der Sprache zuzutrauenden Neubeginn“ nach 1945, sympathisiert noch mit den Koketterien, den weltschmerzlichen Sehnsüchten des prominenten Heimatflüchtlings. Sein Italien, sagt Henze später einmal, sei „das Land der Schwarzweißfilme“. Und schon muss die Differenz zur so schmählich entzauberten italienischen Gegenwart nicht mehr groß definiert werden. Es ist Rostecks musikalisches Gespür für Pausen, für Lücken und Leerstellen, das maßgeblich die Melodie macht.

Eine solche Verfahrensweise, wie gesagt, birgt das Risiko zu großer Anschmiegsamkeit, allen akribischen Recherchen zum Trotz. Außerdem ist es ja nicht so, dass man über Henze, den ewigen „Grenzgänger“ und „radikalen Individualisten“, den vielgeschmähten „Langzeit-Marxisten“ und bekennenden Schönheitsneurotiker, wenig wüsste. Die erwähnte Autobiografie von 1996, die zahlreichen Arbeits- und Werkbücher, die sich der Komponist seit seinem frühen „Undine“-Ballett und bis zur „Phädra“- Oper von 2007 angewöhnt hat, der Briefwechsel mit Bachmann – all das beansprucht eine Darstellungs- und Deutungshoheit, der nicht so ohne weiteres zu widersprechen ist. Aber das dürfte auch gar nicht Rostecks Ehrgeiz gewesen sein.

Vom bösartigen Spießertum des nationalsozialistisch entflammten Vaters Franz, der seinem schwulen Zögling eine „Kaffeehausgeiger-Zukunft“ weissagt, über krachende Niederlagen und rauschende Erfolge bis zum „Nichtangriffspakt“, den Henze und sein Lebensmensch Fausto Moroni 1964 schließen – das Henze-Bild präsentiert sich in einer geradezu unverschämten Fülle. Wohltuend auch, dass Rosteck sich jeder strengeren musikalischen Analyse enthält. Die großen Skandale um das „Floß der Medusa“ oder „König Hirsch“ erscheinen hier mehr als persönliche oder gesellschaftliche Chiffren denn als ästhetische.

Es müssen gute Zeiten gewesen sein, als sich Komponisten noch über der Frage, wie utopisch Musik sein darf, öffentlich die Köpfe einschlugen. Eine Podiumsdiskussion im Herbst 1982, Henze redet einer „nicht verquälten, nicht von den schlimmen Dingen der Welt handelnden glücklichen Musik“ das Wort, worauf Helmut Lachenmann entgegnet: „Es ist noch lange nicht gesagt, dass einer in der Tradition wurzelt, bloß weil er darin wurstelt.“ Das Ausgeschlossensein aus der Avantgarde, die Feindschaft Stockhausens, Nonos und Ligetis hat Henze zeitlebens nicht verwunden.

Am bewegendsten, naturgemäß: das Bachmann-Kapitel des Buches. Das Decrescendo ihrer mustergültig „reinen“ Beziehung, Bachmanns so mysteriöser wie schauderhafter Feuertod. Mit den Worten „Ich kann nicht über Ingeborg sprechen, ich bin Ingeborg“ lehnt Henze noch 1993 eine Einladung zu einem Kongress ab. Und auch zu Fausto weiß Rosteck viel Eindringliches, ja Liebevolles zu berichten. Henzes „byzantinisches Fürstenkind“ („In Wahrheit hatte er den Spross eines Obst- und Gemüsehändlers und einer Hausfrau vor sich“) stirbt 2007, krank und erschöpft, mit 63 Jahren, und lässt den gesundheitlich ebenfalls geschwächten, alten „Kater Hinz“ allein zurück. Diesem bleibt seine Musik, natürlich, und ein exzessiv gelebtes Leben, durch das sich spazieren lässt wie durch Theaterkulissen oder eine Landschaft. Henzes satyrhaft-treuherziger Wunsch am Ende? „Ich möchte halt, dass mein Vater um die Ecke käme, heute abend, morgen früh, um zu sehen, wie der Bielefelder Kaffeegeiger dahinvegetiert. Das würde mir gefallen.“

Jens Rosteck, Hans Werner Henze, Rosen und Revolutionen. Propyläen Verlag, 576 Seiten, 26,95 €. Heute abend um 20 Uhr stellt der Autor seine Biografie in der Akademie der Künste am Pariser Platz vor. Der Eintritt ist frei.

Christine Lemke-Matwey

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