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Gran Sol

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Heimweh-Roman: Naturwucht

1957 erschien Ignacio Aldecoas Roman "Gran Sol". Jetzt liegt er erstmals auf Deutsch vor.

Die Männer und das Meer. Der Kampf gegen die Gezeiten. Gegen das Heimweh, die Sehnsucht nach der Familie. Gegen den Tod. Kaum ein Schriftsteller wagt sich heutzutage noch an einen Roman, der sich auf einem derart klischeegefährdeten und von der Weltliteratur stetig beackerten Motivfeld bewegt. 1957 war das noch leichter. Da erschien Ignacio Aldecoas jetzt erstmals auf Deutsch vorliegender Roman „Gran Sol“, der in seinem Titel auf ein fischreiches Revier vor der irischen Atlantikküste verweist.

Ein spanisches Fangschiff macht sich dahin auf den Weg, und allein das erste, 25 Seiten umfassende Kapitel, in dem die Mannschaft sich in der Hafenkneipe sammelt, um auf den günstigsten Zeitpunkt zum Auslaufen zu warten, ist ein Meisterstück – wie Aldecoa hier die dramaturgischen Grundlagen legt, wie er sein Personal in eine spannungsgeladene Konstellation rückt, wie er soziale und Familienverhältnisse offenlegt, ohne sie explizit zu benennen, ist hochintelligent und formal äußerst reizvoll.

„Gran Sol“ ist ein in weiten Strecken dialogisches Buch, in das kraftvoll-poetische Naturdarstellungen eingewoben sind und der 1969 gestorbene spanische Schriftsteller die ur- und überzeitliche Wucht der Naturgewalten anschaulich einfängt. Die Besatzung an Bord ist in einem Geflecht von inniger, auch landsmannschaftlich motivierter Abneigung, fragiler Freundschaft und widerwillig akzeptierten Hierarchien miteinander verbunden. Sie trinkt, isst, flucht, redet dummes Zeug und macht sich Sorgen um die Zukunft. Es geht derb zu, nicht immer unblutig. Und immer wieder gibt es Momente von elementarer Einsamkeit und die Gewissheit, niemals im Hafen zurückbleiben zu können, niemals mehr nicht zur See fahren zu wollen. Von männerbündlerischer Verschwiemeltheit und erhabenem Pathos ist „Gran Sol“ Hunderte von Seemeilen entfernt. Aldecoas Roman ist magisch aufgeladener Realismus, der in keine Kitschfalle läuft.

Die Gleichförmigkeit der Tage wird zum Schluss geradezu schockartig von einem so dramatischen wie tragischen Höhepunkt beendet. Ein Besatzungsmitglied wird nicht nach Spanien zurückkehren, sondern auf einem irischen Friedhof seine letzte Ruhe finden. In seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe ordnet der Schriftsteller Rafael Chirbes Aldecoa der in Spanien sogenannten „enttäuschten Generation“ zu, die vom Franco-Regime misstrauisch beäugt wurde. Aldecoa, so Chirbes, überbringe dem Leser „das unerwartete Geschenk eines wahren Sprachschatzes, in dem die ganze Kultur eines Berufsstandes aufgehoben ist, die ganze Weisheit von Generationen und das präzise Vokabular, mit dem diese Weisheit sich mitteilt.“ Man wünscht sich, dass diese, im Übrigen hervorragende deutsche Übersetzung von „Gran Sol“ nur ein Anfang ist. Christoph Schröder

Ignacio Aldecoa: Gran Sol. Roman. Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen. Marebuchverlag, Hamburg 2007, 300 Seiten, 22,90 Euro.

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