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Hör BÜCHER: Das Bild des Phantoms

Jens Sparschuh folgt dem Lockruf des Verbrechens

Zu seiner Zeit war Jack the Ripper noch eine Ausnahmeerscheinung, eine unerhörte Sensation. Heute hat sich der Serienmörder zum allgemeinen Publikumsliebling gemausert. Ob das am Fernsehen liegt, wo auch dauernd Serien laufen? Ein schlichter Mord ist längst nicht mehr genug, unverdrossen wird im Kriminalroman und auf dem Bildschirm gemordet, dass die Fetzen fliegen und das Blut spritzt. Gäbe es im wirklichen Leben so viele Serienmörder wie in der Fiktion, unser blauer Planet hätte ein entscheidendes Problem weniger: den Menschen.

Da auch im Hörbuchsektor Mörder herumschleichen, und Kommissare ihnen auf die Schliche kommen müssen, kann dieses Genre hier nicht völlig unbeachtet bleiben. Stellen wir uns vor: Schöne, aber karge Landschaft, vorzugsweise im Norden, Mädchenleiche wird im Moor entdeckt, der Verdacht fällt sofort auf einen Sonderling, der mit seinen Schafen abseits vom Dorfe wohnt. Der wird verhaftet, dann geschieht wieder ein Mord, der Sonderling kann es demnach nicht gewesen sein. Die Männer hacken stumm Holz, die Frauen hängen Wäsche auf, der Wind weht. Niemand im Dorf will darüber sprechen, aber es gibt da ein dunkles Geheimnis, und alle Spuren führen in die Vergangenheit ... Ich habe jetzt leider vergessen, zu welchem Hörbuch dieser Plot gehört, und die Dunkelziffer ist hier sicher sehr hoch; macht aber nichts, dieses Modell, leicht variiert, passt zu einem ganzen wackligen Hörbuchstapel.

Fast scheint es ja, dass bei unseren nördlichen Nachbarn Mord & Totschlag an der Tagesordnung sind, schlichte Normalität also. dass sie trotzdem kurzweilige und überraschende Krimis schreiben können, hört man in „Tödliches Eis“ (Der Hörverlag, 2008), das drei Kurzgeschichten aus Skandinavien versammelt.

Nikolai von Michalewskys „Bei Bildausfall Mord“, enthalten in der Sammlung „Abschiedswalzer“ (Steinbach Sprechende Bücher, 2009), ist bereits eine ältere Produktion, von 1985, aus jener Zeit, da es in Flugzeugen noch Raucherplätze gab und Telefonhörer vernehmlich laut auf die Gabel geknallt wurden. Eine „Aktion 8. Juni“ will ein Flugzeug in die Luft sprengen, ein Selbstmordattentäter ist an Bord. Da dieser vorher einen Terror-Aussteiger ermordet hat – einen Schauspieler, der seine Proben zu Hause immer auf Demovideos aufzeichnet –, hat die Polizei, die am Tatort eintrifft, einen Hinweis auf den Attentäter. Nur leider gab es einen Bildausfall, so ist es nur eine dürftige Tonspur, der man folgen kann.

Und jetzt wird es richtig spannend! 18:15 Uhr soll die Bombe hochgehen, es beginnt, wie es so schön heißt, ein Wettlauf mit der Zeit. Um den Crews aller in Betracht kommenden Flugzeuge, die in der Luft sind, möglichst genaue Hinweise auf den Attentäter zu liefern, werden die Geräusche auf dem Band abgehört, wieder und wieder. Man zieht dabei den blinden Telefonisten der Polizeistation zu Rate. Der findet heraus: Es war gar kein Mörder, sondern eine Mörderin. Wie sich hier, rein akustisch, ein Phantombild zusammensetzt, das ist extrem hörbuchtauglich.

„Albtraum“ von Petra Hammesfahr (Audiobuch, 2009) variiert das Thema der bösen Schwiegermutter. Für meine ungeübten Krimiohren allerdings war die Auflösung dann doch ein wenig konfus. „Kolyma“ von Tom Rob Smith (Lübbe Audio, 2009) ist ein Politkrimi aus dem Moskau der fünfziger Jahre. Auf dem Cover wird für den Autor, dessen Debüt „Kind 44“ ein Weltbestseller wurde, mit einer Empfehlung aus der Zeitung „Die Welt“ geworben: „Bespitzelung, Angst, Mord. Faszinierend.“ Zwar ist diese Reihung an sich schon ziemlich kriminell, aber bei Gelegenheit lege ich mir diese sechs CDs wohl tatsächlich mal auf.

Es gibt bei den Krimihörbüchern ein grundsätzliches Problem. Es liegt in der Natur des Genres. Wenn man einmal weiß, wo der Hund begraben liegt und wer der Mörder ist – hört man sich das dann auch noch ein zweites Mal an? Diese Frage stellt sich nicht bei Ferdinand von Schirachs „Verbrechen“ (Der Audioverlag, 2009). Sicher liegt es auch an der Macht des Faktischen, dass man diese authentischen Fallschilderungen aus der Praxis des Berliner Strafverteidigers mit Gewinn mehrfach hören kann. Vor allem aber ist es die konzise Sprache, die diese Geschichten weit aus den Niederungen kriminalistischer Genreliteratur herausragen lässt.

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