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Hör BÜCHER: Das Kämmen der Schafe

In letzter Zeit habe ich manchmal den Eindruck, mit meiner kleinen Hörbuchecke ganz am Ende einer langen, geschäftig rasselnden Verwertungskette zu sitzen, und ich frage mich: Was kommt hier hinten bei mir eigentlich an? Dass nach wie vor Produktionen, die es exklusiv nur in Hörbuchform gibt, eine absolute Ausnahme darstellen, wurde an dieser Stelle schon oft genug bemängelt – und ebenso, dass weder eine Fernseh-, noch eine glitzernde Kino-Karriere der Akteure zwangsläufig fürs Hörbuch prädestiniert.

In letzter Zeit habe ich manchmal den Eindruck, mit meiner kleinen Hörbuchecke ganz am Ende einer langen, geschäftig rasselnden Verwertungskette zu sitzen, und ich frage mich: Was kommt hier hinten bei mir eigentlich an? Dass nach wie vor Produktionen, die es exklusiv nur in Hörbuchform gibt, eine absolute Ausnahme darstellen, wurde an dieser Stelle schon oft genug bemängelt – und ebenso, dass weder eine Fernseh-, noch eine glitzernde Kino-Karriere der Akteure zwangsläufig fürs Hörbuch prädestiniert. Was aber ist von Hörbüchern zu halten, deren Vorlage nicht einmal mehr ein Originalroman ist, sondern lediglich eine Romanverfilmung? Ist das nicht der Schatten eines Schattens?

Der Hörverlag hat 2008 das „Filmhörspiel“ zu den „Buddenbrooks“ herausgebracht; bei Hörbuch Hamburg erschien „Effi Briest“ als „Original-Hörspiel zum Filmereignis 2009“. Hier läuft also jeweils die Tonspur des Films noch einmal vor unseren Ohren ab. Bloß: Wir sehen nichts. Schade! Ganz abgesehen davon, dass diese Zweit- oder Drittverwertung nach Konservendose riecht und der fixen Idee Vorschub leistet, Hörspiel sei so etwas wie „Film im Dunkeln“, werden damit alle Kompromisse, die eine Verfilmung ohne Frage machen muss, umstandslos auf das Hörbuch übertragen, das für seinen Part derlei doch gar nicht nötig hätte.

In der Weihnachtszeit – um ein geläufiges Beispiel zu geben – war unsere tapfer-unentwegte Sissi wieder erfolgreich im Fernsehen unterwegs. Eigentlich ist sie ja so etwas wie Effi Briests flatterhafte Schwester im Geiste: Beide sind sie „Naturkinder“, beider Väter sind redliche, rechtschaffene Landeier, aber ihre Mütter, die haben hochgesteckte Ziele. Und bei beiden, Sissi und Effi, kommt es nach der Heirat mit den bekannten Folgen zu Affären (Graf Andrássy, Major Crampas). Ein wichtiger Unterschied besteht darin, dass Kaiser Franz Josef in Erzherzogin Sophie einen Widerpart hat, der all das, was unserer Sissi so mächtig auf die Nerven geht, leibhaftig verkörpert: spanisches Hofzeremoniell, Staatsräson etc. Kaiser Franz Josef ringt also nicht mit einem abstrakten höheren Prinzip, sondern mit Frau Mama (Betonung auf dem zweiten a!). Das funktioniert blendend als Film.

Theodor Fontanes Geert v. Instetten ist von anderem Kaliber. Ihm fehlt ein solches dramaturgisches Gegenüber. An einen Kollegen schrieb Fontane 1895: „Was mich ganz besonders gefreut hat, daß Sie dem armen Instetten so schön gerecht werden.(…) Für den Schriftsteller in mir kann es gleichgültig sein, ob Instetten, der nicht notwendig zu gefallen braucht, als famoser Kerl oder als ‚Ekel'' empfunden wird, als Mensch aber macht mich die Sache stutzig.“ Hinter der ethischen Argumentation steht natürlich auch eine ästhetische: Zu einer Tragödie gehört es, dass beide Seiten recht haben. Um nun zu verstehen, was in diesem notorisch verschlossenen Beamten vor sich geht, gibt es im Roman ein seitenlanges Gespräch, das er mit Geheimrat Wüllersdorf führt; das passt zu diesem undramatischen Preußen. Im schnellen Bilderwechsel des Films fehlt diese entscheidende Passage. Ein Buch sagt hier eben mehr als tausend Worte. Ohne ein Taliban zu sein und für ein Bilderverbot zu plädieren, zöge ich in diesem Fall also unbedingt den Roman selbst als Quelle fürs Hörbuch vor.

Frage ich mich im kritischen Jahresrückblick, ob es etwas gibt, das besonders gut im Hörbuchmedium funktioniert, fallen mir Vorlesungen ein. „Manwürde Jurek Becker liebend gerne Stunden und Tage zuhören.“ Diesem Herzenswunsch der „FAZ“ kann ich mich nur anschließen, mit „Vernarrtsein in Worte, Verliebtsein in Sprache. Prosa, Reden, Interviews“ (Der Hörverlag 2009) geht er in Erfüllung. Wenn es auch nicht Tage sind, so doch immerhin kostbare Stunden, die Gesamtlaufzeit beträgt 236 Minuten, die man hier in bester Gesellschaft verbringt. Eine akustische Fernuniversität: Man sitzt als Gasthörer in einem unsichtbaren Auditorium, Jurek Becker hält seine Frankfurter Poetikvorlesungen von 1989, „Warnung vor dem Schriftsteller“, und es ist ein großes Geschenk, noch einmal die Stimme dieses wunderbaren Autors hören zu können.

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