zum Hauptinhalt

Hör BÜCHER: Kaviar billig, Malaria gratis

Jens Sparschuh huldigt dem Mut großer Reisender: Von Kapitän Cook zu Annemarie Schwarenbach.

Was uns in „Die letzte Reise des Kapitän Cook. Ein abenteuerlicher Reisebericht aus dem Pazifik“ (Audiobuch, 2009) zu Ohren kommt, dürften wir eigentlich gar nicht hören: Die englische Admiralität hatte es allen Besatzungsmitgliedern ihrer Expeditionsschiffe untersagt, schriftlich oder auch nur mündlich von ihren Reiseerlebnissen zu berichten.

Der deutsche Matrose Heinrich Zimmermann setzte sich über dieses Verbot hinweg. Ihm verdankt sich dieses Dossier eines vierjährigen Törns (1776– 1780) durch den Pazifik. Keine Kreuzfahrt, eher eine den Launen des Windes folgende Kreuz-und-quer-Fahrt auf der Suche nach einer Passage zwischen Asien und Amerika. Wir tauchen ein in eine untergegangene, korallenbunte südseeische Inselwelt, lernen die Gebräuche der Eingeborenen kennen und staunen mit Zimmermann über die „angenehme Freiheit der Frauenzimmer“. Kein Wunder, dass auf den Sandwichinseln (dem heutigen Hawaii) sofort zwei Seeleute flüchten, um fortan als Aussteiger in diesem Paradies zu leben; Cook lässt sie aber wieder einfangen.

Auch Cooks Schicksal entscheidet sich auf Hawaii. Zunächst beten die Eingeborenen ihn an, verehren ihn als eine Gottheit. Dies ändert sich, nachdem Cook – statt seine Leute in die fernen, bewaldeten Berge zu schicken – kurzerhand aus den Holzstangen, die er auf dem nahegelegenen Begräbnisplatz der Insulaner stehen sieht, Kleinholz machen lässt, das braucht er zum Anfeuern. Als dann noch ein Besatzungsmitglied stirbt, beginnen die Einheimischen an der Unsterblichkeit der weißen Männer zu zweifeln. Später geht ein Fockmast in die Brüche – und damit endgültig auch der Nimbus absoluter Unangreifbarkeit, der Cook und seine Leute bis dahin schützte. Am 14. Februar 1779 macht ein Insulaner die Probe aufs Exempel: Er rammt einen eisernen Dolch – übrigens: ein Gastgeschenk Cooks! – dem großen Kapitän in den Rücken.

Nach einer blutigen Vergeltungsaktion und dem anschließenden Hissen weißer Tücher folgt ein makabres Nachspiel: Stück für Stück tauschen die hinterbliebenen Seeleute diverse, noch nicht verspeiste Einzelteile ihres Kapitäns (ein Bein, ein paar Finger etc.) von den Eingeborenen zurück, so dass genug für ein standesgemäßes Seebegräbnis beisammen ist und die Wellen des Pazifiks über den sterblichen – man muss es schon so sagen – „Resten“ Cooks für immer zusammenschlagen können.

Wie Annemarie Schwarzenbach in einem Ford mit Schweizer Kennzeichen 1939 von Genf nach Kabul zu fahren – das scheint aus heutiger Sicht kaum weniger abenteuerlich zu sein („Liebeserklärungen einer Reisenden“, Kein & Aber, 2007). Andere Stationen dieser Weltreisenden sind New York, Bagdad, sogar der Kongo. Bibiana Beglau als Sprecherin meistert mit Bravour die vielen fremdländischen Namen und Ortsbezeichnungen. Frappierend übrigens die äußere Ähnlichkeit zwischen Autorin und Sprecherin. Ob das auch für die Stimmen gilt? Sicher hätte die Schweizerin Schwarzenbach das „r“ – ohne es gleich mordsmäßig zu rollen – stärker betont, während es bei der Braunschweigerin Beglau manchmal ein wenig zu kurz kommt.

Im vorangestellten „Interview ohne Reporter“, einer Selbstbefragung, erfährt der Hörer, wie die Schwarzenbach zu einer „unheilbar Reisenden“ geworden ist. Ursprünglich wollte sie General werden. Dann Pianistin. Mit neun Jahren schrieb sie in ein liniertes Schulheft ihren ersten Roman. Da sie aber wusste, dass Erwachsene Neunjährige nicht ernst nehmen, ließ sie ihren Helden einfach elf Jahre alt sein. Ein winziger Dreh an der Wirklichkeit – und schon klappt es.

Auch als Reiseschriftstellerin beschränkt sie sich nicht auf die bloße Beschreibung dessen, was ist. Sie vermag, lakonisch ihre Eindrücke zu bündeln (am Kaspischen Meer: „der Kaviar spottbillig, das Malariafieber – gratis“) oder, mitten im New Yorker Autoverkehr des Jahres 1937, schon den heutigen Verkehrskollaps in den Großstädten vorauszusehen.

1942, mit nur 34 Jahren, starb Annemarie Schwarzenbach, die unerschrocken per Flugzeug, Auto und Schiff die halbe Welt bereiste, an den Folgen eines Fahrradunfalls im Schweizer Engadin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false