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Hör BÜCHER: Sommer für Einsteiger

Jens Sparschuh empfiehlt Peter Kurzecks Improvisationskünste

Liebe Frau P.! Sie schreiben, dass Sie mit allergrößtem Vergnügen jede neue Hörbuchkolumne auf dieser Seite lesen (danke!) und sich auf diese Weise bestens informiert fühlen. Aber auch: „So oft ich es nun schon selbst mit Hörbüchern versucht habe, richtig geklappt hat es noch nie. Zur Goldenen Hochzeit haben uns die Kinder zwar einen ganzen Karton voll geschenkt, doch wenn ich im Haushalt beschäftigt bin, kann ich mich nebenbei höchstens mit meinem Mann unterhalten, er ist stark gehbehindert und erzählt gern. Ist es nicht doch besser, abends zu einem ,richtigen’ Buch zu greifen?“

Das ist die Frage – und ich frage mich: Kommen Sie, liebe Frau P., überhaupt fürs Hörbuch infrage? Laut einer Studie ist der typische Hörbuchkonsument männlich, zwischen 25 und 30 Jahre alt, wirtschaftlich gut situiert und vielseitig interessiert. Sie sind weiblich, Goldene Hochzeit und Büttenbriefpapier lassen mich tippen, dass Sie ein klein wenig älter sind; Ihrer Postadresse nach zu schätzen, gibt Ihre wirtschaftliche Lage allerdings zu den schönsten Hoffnungen Anlass. Und dass Sie vielseitig interessiert sind, das beweist mir ja Ihr Leserbrief. So kommen wir also nicht weiter. Kommen wir daher, alle Statistik beiseitelassend, gleich zu Ihrem P.S.: „Außerdem: Ich kann doch nicht einfach nur dasitzen und zuhören?“

Warum eigentlich nicht? Ich halte es – unter uns gesagt – für den Anfang allen Übels, dass so wenige Leute das können. Vielmehr: Sie könnten es ja, sie trauen es sich nur nicht. (Beim Fernsehen klappt es doch auch.) Versuchen Sie es einfach mal! Haben Sie ein Sofa in der Wohnung? Gut. Wenn Sie sich in der Liegeposition befinden, ist es schon wesentlich schwieriger aufzuspringen, um etwas „Nützliches“ zu tun.

Liegen Sie erst einmal, klappen Ihre Augen wie von selbst zu. Sie werden sehen, schnell wird es dunkel. Sehr gut! Erstens weicht die Anspannung (Sie sehen die Hausarbeit, die eventuell auf Sie wartet, nicht mehr); zweitens potenziert der ausgeschaltete Sehsinn das Gehör. Und was Ihren Mann betrifft: Ich will Ihnen da nichts einreden, aber könnte es nicht sein, dass nach 50 absolvierten Ehejahren das, was Ihr Mann Ihnen zu erzählen hat, so taufrisch nun auch nicht mehr ist? Warum also nicht mal ganz etwas Neues ausprobieren?

Nun ein heikler Punkt: Inwiefern ist das, was Sie im Hörbuch erwartet, wirklich neu? Ich gebe zu, wenn Hörbücher lediglich die Zweitverwertung von Texten sind, die es als Original schon in Buchform gibt, wird es schwierig. Allenfalls könnte, zum Beispiel, Ihr Lieblingsschauspieler, der den Text liest, den Ausschlag geben. Es gibt aber auch Texte, die exklusiv nur als Hörbuch existieren. Das wäre doch ein starkes Argument, nicht wahr?

Wenn Ihnen nun jemand das Dorf seiner Kindheit erzählt und dabei in einen magischen Erinnerungsfluss eintaucht – das wäre doch was, zum Beispiel Peter Kurzeck mit „Ein Sommer, der bleibt“ (supposé, Berlin 2007, 4 CDs, 34,80 €). 59 Miniaturbilder fügen sich mosaikartig zum Bild einer Kindheit zusammen. Das Besondere daran ist die Unmittelbarkeit des Erzählens ohne vorformulierten Text, es gibt Wiederholungen, Korrekturen, und der Erzähler kommt, wie das beim Erzählen so ist, vom Hundertsten ins Tausendste. Warum folgt man ihm so gerne dorthin? Der für das Sprechen typische, beinahe monoton anmutende „Und“-Anfang vieler Sätze verhindert jede Vorsortierung in Wichtiges und Unwichtiges, das bewirkt genau das Gegenteil von Monotonie: Immer bleibt man gespannt, was als Nächstes offeriert wird.

Es ist damit so wie mit dem frisch gestopften Strohsack, von dem Kurzeck erzählt: Je länger man darauf liegt, desto mehr sinkt er in sich zusammen, und man gewinnt immer neue Perspektiven auf das Zimmer. Genauso ergeht es einem, wenn man in dieses Hörbuch versinkt. Wenn ich in Ihrem Fall also etwas empfehlen darf: Kurzecks Sommer – greifen Sie zu, Sie werden es nicht bereuen!

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