zum Hauptinhalt

Hörbücher: Sinfonie des Fußballstadions

Jens Sparschuh hat nur noch Ohren für die Archive von Ror Wolf

Immer muss ich mir den Schwachsinn anhören!“ Dies ist nicht etwa, wie man leicht vermuten könnte, der entnervte Aufschrei eines Berliner Hörbuchkolumnisten; es handelt sich hier um Originalton Rudi Völler. Zu hören wird der sein auf „Spieler schwach wie Flasche leer“. Die bekanntesten Schimpfkanonaden der Trainer, Manager und Präsidenten (Der Hörverlag, 2010), eines von zig Hörbüchern, das sich in diesem Jahr – da der Ball nun einmal rund ist – rund um den Fußball dreht.

Wenn Deutschland dann endlich Fußball-Weltmeister geworden sein wird (oder auch nicht), könnte man sich eigentlich auch wieder den etwas subtileren Genüssen widmen. Im Jahr 2006 hatte Ror Wolf öffentlich angekündigt, sein akustisches Archiv, in dem er jahrzehntelang Fußball-O-Töne gesammelt hatte, zu vernichten: Zehntausende Sätze und Satzfetzen sind das, ein großes Stück Radiogeschichte, aber kurz und klein geschnitten und nach mehr als 50 Kategorien sortiert.

Der Berliner Autor und Regisseur Hermann Bohlen hat sich dieser Tonscherben-Sammlung angenommen, das Material durchgesehen, durchgehört und entstanden ist: Angriff ist die beste Verteidigung. Ein von Ror Wolf vorgelassenes Hörspiel von Hermann Bohlen; Ursendung war am 3.7. 2009 auf SWR 2. In seiner Vorankündigung schrieb der Sender, Bohlen habe das Material „wie ein verrückter Mitarbeiter der Gauckbehörde“ zusammengepuzzelt.

Das möchte man aber nicht hoffen! In dieser wilden Collage entsteht nämlich etwas völlig Neues, ja geradezu Fantastisches. Selbst echte Fußballfreunde können hier dem Irrsinn ihres Spiels ins flackernde Auge blicken. Das gelingt, weil Bohlen wie ein Komponist arbeitet: Er führt die Töne nicht einfach vor, er entlockt ihnen ihr Geheimnis. Seine Sinfonie des Fußballstadions, die man mit Gewinn mehrmals hören kann, dauert kaum länger als eine Halbzeit, ist aber spannend wie ein ganzes Spiel. Eine Vorlage, die übrigens weit über das Fußballfeld hinausgeht. Deshalb dringende Bitte an die Hörbuchverlage: Diese ganz und gar runde Produktion muss unbedingt ins Eckige eines Hörbuchschubers!

Neulich bemängelte ich, dass in Krimi-Hörbüchern allzu oft die Spuren in eine dunkle Vergangenheit führen. Eine Krimileserin fragte nun kritisch nach, ob man das wirklich pauschal so behaupten könne. Diese Sache wollte ich nicht auf sich beruhen lassen, und ich kontrollierte – apropos sportliche Herausforderung! –, was die aktuellen Hörbuchvorschauen diesbezüglich so alles zu bieten haben: „Um diesen Fall zu lösen, muss sie sich ihren Ängsten und ihrer traumatischen Vergangenheit stellen…“. – „Doch die Familienidylle währt nur kurze Zeit, denn ein schreckliches Geheimnis aus Jacks Vergangenheit droht zur tödlichen Gefahr zu werden.“– „Immer tiefer gerät Winter in ein Netz aus Lügen und Intrigen, das ihn weit in die Vergangenheit zurückführt.“ – „Libby muss noch einmal ihre Vergangenheit aufrollen …“ – „Und nach und nach erkennen sie, dass sie sich ihrer Vergangenheit stellen müssen …“ Muss ich das wirklich? Bin ich vielleicht Libby? Nein. Ich denke, damit ist die Frage geklärt.

Gerade überlegte ich, ob die Spuren nicht eher in eine rätselhafte Gegenwart führen, da klingelte es. Und was ist mit der Zukunft, fragte ich mich. Noch einmal klingelte es. Ich öffnete: nichts. Doch, auf halber Höhe, stand Paul aus dem zweiten Stock vor mir, er leistet treue Dienste bei der Zustellung großformatiger Postsendungen. Diesmal hatte er sogar noch was extra dabei.

„Kennst du das?“ fragte er mich und hielt mir eine CD hin. Ich schüttelte den Kopf. Fassungslos funkelte sein Auge mich an (das andere pausiert momentan hinter Brillenglas und Pappschild mit aufgeklebtem Marienkäferchen). Stumm schien Paul sich zu fragen: Was macht dieser Mensch eigentlich den ganzen Tag? „Kannst du dir ja mal anhören. Aber wiedergeben!“ Da mein neunjähriger Tippgeber absolut unverdächtig ist, jemals auf frischer Tat mit einem schöngeistigen Buch ertappt worden zu sein, nehme ich seinen Hinweis sehr ernst. Nächstens also, was es mit „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ auf sich hat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false