zum Hauptinhalt

Literatur: Im Bett mit Fräulein Zett

Zu seinem 75. Geburtstag brilliert Ror Wolf in neuen Gedichten und Ausschweifungen

Als ihn die stalinistischen Betonköpfe nach dem Abitur im thüringischen Saalfeld 1951 nicht zum Studium zugelassen hatten und er zwei Jahre Bauarbeiter war, ging Ror Wolf in den Westen. Aus dem Betonmischer wurde, nach Studien unter anderem bei Herrn Adorno in Frankfurt am Main, ein Wortmischer. Einer der besten Sinn- und Silbenstecher, ein Mann,der aus Mordlust Wortlust macht und seinen Mordsdurst am Wortdurst löscht, bis es was auf den Dosenboden setzt, einen Schaum, den vorletzten Traum. Ror Wolf, der soeben 75 wurde, hat sich auch schon Raoul Tranchirer genannt. Wie ein Dadaist. Aber er ist doch Realist, weil die Wirklichkeit gar nicht geheuer und bei einem Schriftsteller sowieso eine Erfindung ist – Wolfs Website heißt „wirklichkeitsfabrik“.

Einst war er der Urheber schöner Fußball-Sonette und des berühmtesten aller nichtherbergerschen Fußballsätze: der Mitteilung, dass Netzer aus der Tiefe des Raumes kommt. Wolfs eigene Tiefe liegt indes 20 000 Meilen und zugleich 20 Millimeter unter dem Meer der Oberflächenphänomene, die er literarisch und bildnerisch collagiert: ein Nachfahr von Jules Verne und Max Ernst, von Wilhelm Busch und dem als Humorist unterschätzten Kafka. Das erkennt man wieder an seinen beiden jüngsten Büchern. Die unterm trügerisch harmlosen Titel „Zwei oder drei Jahre später“ gesammelten Kurzgeschichten (Unterzeile: „Neunundvierzig Ausschweifungen“) sind im Aberwitzigen die denkbar leichthändigsten, im Weltraum des Poetischen die schwerelosesten Abgrundanekdoten. Und da in Österreich tatsächlich ein Kafka-Preis existiert, dürfte es spätestens jetzt keinen geeigneteren Kandidaten mehr geben.

Seine „Ausschweifungen“ zieren auf dem Umschlag Magrittes surreale Doppelgänger. Auch die zweite neue Wolf-Erscheinung, den virtuosen Gedichtband „Pfeifers Reisen“, schmückt ein sphinxhaftes Magritte-Bild, doch im Mysteriösen tickt: die vergehende Zeit. Noch einmal treten in diesen 150 bisher unveröffentlichten Stücken aus den letzten 40 Jahren die absurden Wolf-Helden Hans Waldmann und Freund Pfeifer in so springenden Versen, in so gelenkigen Reimen auf, wie sie seit Busch und Morgenstern wohl nur noch Robert Gernhardt gedichtet hat.

Aber die Komik, ob beim Schiffbruch auf hoher See, ob bei einer imaginierten Rede vor der Kohleindustrie in Marl, ob im Grandhotel oder im Stundenhotel, ob in Amsterdam, Chicago oder im Frankfurter Bahnhofsviertel, Wolfs Komik fröstelt längst unterm Schafspelz der Melancholie. In Berlin verkehrt Dr. Pfeifer mit „Fräulein Ypsilon und Fräulein Zett“, für die er nur noch ein verquer X-Beliebiger ist. Und das Poem vom „Nordamerikanischen Herumliegen“ beginnt so: „Ein Fischer, ein Forscher, ein Farmer, / ein Geiger, ein Dirigent, / ein reicher Friseur und ein armer, / die liegen in Maryland.“ Dann die letzte Strophe: „Ein Dunst liegt über Dakota, / und über Nevada liegt Rauch / und Qualm über Minnesota. / Am Ende liege ich auch.“ Was freilich davor oder dazwischen liegt, auf Pfeifers und Wolfs Odyssee 2007, das sollten sich möglichst viele Leser erreisen.

Ror Wolf: Zwei oder drei Jahre später. 49 Ausschweifungen. 200 Seiten, 18, 90 €.

Pfeifers Reisen. Gedichte. 258 Seiten, 19, 90 €. Beide im Schöffling Verlag, Frankfurt a.M. 2007.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false