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Johannes Mario Simmel: Sisyphos mit Schreibmaschine

Angefangen hatte er als Zeitungsschreiber und Drehbuchautor, bei der Illustrierten "Quick" brachte er es zum bestbezahlten Reporter im Adenauer-Deutschland. Seiner Prosa, gemischt aus Fakten und Fiktion, merkte man diese Nähe zur Aktualität auch später an. Simmel und das Kino: eine Erinnerung.

Ein kleiner dicker Mann, der versuchte, mit seiner Schreibmaschine den Weltuntergang aufzuhalten. So hat man Kurt Tucholsky beschrieben. Ähnliches ließe sich auch über Johannes Mario Simmel sagen, nur dass er nicht klein und dick war. Ein Leben lang hat der Schriftsteller, der, wie berichtet, am 1. Januar mit 84 Jahren in Luzern gestorben ist, mit seinen Romanen gegen Umweltzerstörung, Waffenexporte, Gentechnik und Neonazis angeschrieben. Die Welt stand in seinen Büchern immer am Abgrund, doch der tiefschwarze Kulturpessimismus des Bestsellerautors war mehr als billiger Alarmismus. Er hatte biografische Wurzeln. Als Sohn eines jüdischen Vaters hatte der gelernte Chemiker im Wien der frühen vierziger Jahre selbst, aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz, die Apokalypse überlebt.

Deshalb musste Simmel, ein Sisyphos des Literaturbetriebs, immer weitermachen, er verstand sich als Warner und Aufklärer. Angefangen hatte er als Zeitungsschreiber und Drehbuchautor, bei der Illustrierten „Quick“ brachte er es zum bestbezahlten Reporter im Adenauer-Deutschland. Seiner Prosa, gemischt aus Fakten und Fiktion, merkte man diese Nähe zur Aktualität auch später an. An einen Computer hat er sich bei der Arbeit nie gesetzt, er blieb seiner mechanischen Schreibmaschine treu. „Beim Schreiben will ich dreckige Finger haben und Krach machen“, sagte er.

Seine letzten Jahre verbrachte Simmel zurückgezogen in seinem Haus im schweizerischen Zug. Die Talkshows mied er, Interviews gewährte er nur selten, trotzdem war er weiterhin bereit, Auskunft zu geben: in Briefform. Für ein Buch über Hildegard Knef zu seiner Arbeit an zweien ihrer Filme befragt, folgten jeweils postwendend innerhalb von vier Tagen zwei mehrseitige Schreiben, Schreibmaschinen-Typoskripte mit Filzstift-Korrekturen, unterzeichnet „mit den besten Grüßen stets Ihr Ihnen sehr ergebener Johannes Mario Simmel“.

Für das deutsche Kino der Wiederaufbauära fand er rückblickend drastische Worte. „Die Sünderin“, Knefs Skandalerfolg, nannte er einen „unfassbar schlechten Film“. Dass er dennoch für den Nachfolgefilm „Es geschehen noch Wunder“ ein Drehbuch lieferte, lag an seiner Verehrung für den Regisseur Willi Forst. Der Film, ein „musikalisches Märchen“ nach Simmels Novelle „Die Melodie“, wurde ein Desaster, der Verleih musste ihn nach zwei Tagen aus den Kinos zurückziehen. Auch der Forst-Simmel-Film „Kabarett“ floppte, es war, so Simmel, „das erschütternde Ende eines genialen Menschen“.

An „Madeleine und der Legionär“, Knefs Comeback-Film nach ihrem Ausflug an den Broadway, mochte sich der Autor nur ungern erinnern. Er wurde zwar von Wolfgang Staudte inszeniert, „dem besten Regisseur Deutschlands“, erzählt aber eine krude Story um eine Lehrerin in den Wirren des Algerien-Krieges. Die Geschichte, die Simmel als „Script-Doctor“ vorgelegt wurde, sei „der reinste Dreck“ gewesen. Er bemühte sich vergeblich darum, aus dem Vorspann gestrichen zu werden. „So kommt es, dass sich mein Name auf diesem Stück deutscher Scheiße findet.“

1960, zwei Jahre nach „Madeleine“, kam „Mein Schulfreund“ in die Kinos, eine Schwejkiade aus dem Zweiten Weltkrieg mit Heinz Rühmann. Aus dem jüdischen Jungen, den ein Briefträger in Simmels Vorlage vor den Nazis versteckt hatte, war im Film ein Wehrmachtsdeserteur geworden. Die Wirtschaftswunderdeutschen wollten nicht an den Holocaust erinnert werden. 

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