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Kambodscha: Der Weg in die Hölle

30 Jahre Killing Fields: Erich Follath über die Terrorherrschaft der Roten Khmer in Kambodscha.

In Kambodscha werden gerade die Uhren zurückgedreht. Vor 30 Jahren endete das Terrorregime der Roten Khmer, eine ganze Generation ist seither in dem Land herangewachsen, eine, die in den Schulen nichts über Pol Pot und seine Vision vom „neuen Menschen“ erfahren hat. Viele Ältere haben die Schreckensherrschaft verdrängt. Doch nun kommen diejenigen zu ihrem Recht, die nicht vergessen wollen – oder können: Seit Februar verhandelt in Phnom Penh ein Sondertribunal die Verbrechen der Roten Khmer, die zwischen April 1975 und Januar 1979 mit aller nur denkbaren Gewalt versuchten, Kambodscha in ein riesiges Landwirtschaftskollektiv zu verwandeln. Ganze Städte ließen sie evakuieren, Bauern wie Städter unter unmenschlichen Bedingungen auf den Reisfeldern arbeiten. Bildung war den Brachialkommunisten so sehr verhasst, dass selbst das Tragen einer Brille lebensgefährlich werden konnte, wie der Journalist und Landeskenner Erich Follath in seinem Buch „Die Kinder der Killing Fields“ schreibt.

1,7 Millionen Menschen überlebten die wenigen Jahre unter den Roten Khmer nicht – rund ein Viertel der damaligen Bevölkerung. Nationale und internationale Richter sollen nun gemeinsam zur Aufarbeitung der Diktatur beitragen. Auf der Anklagebank sitzen vier Top- leute des Regimes: Ex-Staatschef Khieu Samphan, der Vize der Roten Khmer, „Bruder Nummer zwei“ Nuon Chea und die früheren Minister Ieng Sary und Ieng Thirith. Pol Pot selbst starb vor elf Jahren. Der fünfte Angeklagte ist Kaing Guek Eav, genannt Duch, Direktor des schlimmsten Foltergefängnisses der Roten Khmer. Bis auf Duch haben bislang alle beharrlich zu den Vorwürfen geschwiegen – über ihre Motive, ein ganzes Land in ein Arbeits- und Folterlager zu verwandeln, geben sie ebenfalls keine Auskunft.

Eine schlüssige Erklärung, wie dies möglich wurde, liefert auch Follath nicht. Er nennt aber eine Reihe von Ereignissen, die Kambodschas Weg in die Hölle vorgezeichnet haben: Das stolze Erbe des historischen Angkorreiches, das Pol Pot und seinen Gefährten als Referenz für einen agrarischen Nationalismus diente, die permanente Bedrohung von außen, angefangen von Begehrlichkeiten der Nachbarländer über die französische Kolonialherrschaft und die amerikanischen Flächenbombardements Anfang der 70er Jahre, als Kambodscha in den Konflikt um Vietnam hineingezogen wurde. „Vielleicht war es eine Mischung aus all den genannten Faktoren, verbunden mit dem mörderischen Willen und der Durchsetzungskraft einer Handvoll radikaler Revolutionäre“, analysiert Follath. Der langjährige „Spiegel“-Korrespondent nähert sich der jüngeren Geschichte Kambodschas anhand einzelner Lebensgeschichten. Jedes Kapitel seines Buches beschreibt eine andere Person, Regimemitglieder und Getreue sind ebenso darunter wie Mitläufer und Opfer. Die meisten hat Follath selbst getroffen, so den früheren König Norodom Sihanouk, der sich im Pekinger Exil bei Foie-Gras-Häppchen und Champagner („… oder wollen Sie etwas Langweiliges …“) mit der Frage entlarvt: „Worüber wollen wir denn heute reden?“ – als hielte er es für möglich, dass ein westlicher Journalist anreist, um mit ihm über Literatur oder Lebensart zu plaudern. Dass dieser Mann nicht in der Lage war, sein Land heil durch den Kalten Krieg zu führen, bedarf keiner Erklärung mehr.

Follath bereiste Kambodscha bereits kurz nach dem Sturz der Roten Khmer. Seine Eindrücke von damals und von späteren Besuchen fließen in seine Porträts ein und vervollständigen das Bild eines Landes, dessen Geschichte und Personal mehr als genug Stoff für ein Shakespeare’sches Drama hergegeben hätte. „Meine Moral ist, gegen jede Moral zu sein“, erklärt etwa Jacques Vergès. Der französische Anwalt machte Khieu Samphan und Pol Pot in ihrer gemeinsamen Studienzeit in Paris mit revolutionärem Gedankengut vertraut. Nun steht der Mann, der den Gestapochef von Lyon, Klaus Barbie, und den Topterroristen Carlos zu seinen Mandaten zählt, Khieu vor Gericht zur Seite. Auch Adolf Hitler hätte er ohne zu zögern verteidigt, bekennt der Maitre, und „sogar George W. Bush“. Pol Pot beschreibt er als „sympathisch und umgänglich“, als einen jungen Mann mit Humor, der Gedichte von Rimbaud las. Follath hat Pol Pot nicht persönlich getroffen, dafür aber dessen jüngeren Bruder. Und auch der zeichnet nicht etwa das Bild eines durch frühe Traumata geprägten Psychopathen.

Die gängigen Erklärungsmuster der politischen Psychologie liefen in diesem Fall ins Leere, schreibt Follath. Der Bauernsohn Saloth Sar, der sich später den Kampfnamen Pol Pot gab, erlebte als Kind weder Gewalt, Armut noch Unterdrückung, und auch die Beziehung des Jungen zu seinen Eltern und Geschwistern weist keine erkennbaren Brüche auf. Follaths Schlussfolgerung: „Pol Pot hat sich jenseits aller persönlichen Defekte und bei offensichtlich klarem Verstand die Freiheit genommen, sich für das Böse zu entscheiden.“

– Erich Follath:

Die Kinder der Killing Fields. Kambodschas Weg vom Terrorland zum Touristenparadies. Deutsche

Verlags-Anstalt,

München 2009.

365 Seiten, 19,95 Euro.

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