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Karl Friedrich Schinkel: Aufbruch nach Spree-Athen

Helmut Börsch-Supan rehabilitiert Karl Friedrich Schinkel als Maler.

„Weltruhm hat er als Architekt erlangt, nicht als Maler“, urteilt Helmut Börsch-Supan über Karl Friedrich Schinkel – und hat ihm doch eine 35 Jahre währende Arbeit gewidmet, die jetzt als XX. Band des Schinkelwerks vorliegt. Gleichwohl begegnet der langjährige Sammlungsdirektor der West-Berliner Schlösserverwaltung dem Maler mit Sympathie. Fortan wird man den Maler, Zeichner und Grafiker Schinkel mit anderen Augen sehen. Börsch-Supans herkulische Arbeit mit ihren Hunderten Katalognummern stellt eine Fülle von Fragen, die die Forschung auf lange Zeit beschäftigen werden.

Die Malerei diente Schinkel in seinen frühen Jahren keineswegs als bloßer Lebensunterhalt und später der Entspannung, mag er auch 1829 geschrieben haben: „In einer unschuldigen Tätigkeit finde ich immer meine größte Zufriedenheit.“ Da war Schinkel längst in das Räderwerk der preußischen Oberbaudeputation eingespannt, deren Anforderungen ihn bis zum Tod überlasteten. Schinkel blieb seinen Überzeugungen auf eine Weise treu, die ihn den Zeitgenossen entfremden musste. In der Malerei konnte er seinem Bildungsideal am reinsten frönen, das in der Architektur oft durch Eingriffe des Königshauses zum Opfer fiel.

Schinkel wollte belehren. Wie kein Zweiter hat er das Humboldt’sche Bildungsideal verinnerlicht. Exemplarisch wird dies an seinem Hauptwerk, dem „Blick in Griechenlands Blüte“ (1825), über das er sagt: „Die Landschaft lässt die ganze Fülle der Kultur eines höchst ausgebildeten Volkes sehen, welches jeden Gegenstand der Natur geschickt zu benutzen wusste, um daraus einen erhöhten Lebensgenuss für das Volk im Allgemeinen zu ziehen.“ Das perikleische Athen wurde zum Vorbild für Spree-Athen, an dessen Entstehen Schinkel beteiligt war.

Der Widerspruch zur „deutschen“ Kunst der (spät-)mittelalterlichen Gotik, dem Schinkel in vielen Gemälden huldigte, löst sich vor dem Hintergrund der geschichtlichen Ereignisse auf. Die Erhebung gegen die napoleonische Fremdherrschaft rief ein Nationalbewusstsein hervor, das sich der eigenen Architekturdenkmäler zu entsinnen begann. Allerdings zögert Börsch-Supan, den Künstler eindeutig an die Seite der Radikalliberalen zu stellen, die in der Berufung auf eine reichsstädtisch kolorierte Frühbürgerzeit ein Vorbild für die deutsche Nationenbildung fanden. Stattdessen plädiert er für eine Synthese. Mit seinem 1815 geschaffenen Bilderpaar „Griechische Stadt am Meer“ und „Mittelalterliche Stadt an einem Fluss“ habe Schinkel „das Athen der perikleischen Zeit und die Stadt des deutschen Mittelalters als gleichberechtigte Vorbilder für die Reorganisation des politischen und kulturellen Lebens in der preußischen Hauptstadt proklamieren“ wollen. Erstaunlich genug, dass Schinkel dieses Nebeneinander von Griechentum und Gotik baulich umsetzen durfte.

Den komplexesten Entwurf als Maler bezeichnet der Freskenzyklus für die Vorhalle seines (Alten) Museums. Schinkel scheiterte damit jedoch am Unwillen des Königs: „Der Zugang zur antiken Mythologie und besonders zu Schinkels poetischer Transformation war ihm verschlossen“, so Börsch-Supan. Bitter bemerkt Schinkel 1829: „Von dem Gefühl aber, dass es zur Würde der Staatsunternehmungen gehöre: die öffentlichen Gebäude durch Kunst-Werke zu schmücken – davon ist man noch himmelweit entfernt.“ Der im Krieg fast vollständig zerstörte Zyklus wurde Schinkel auch deshalb so wichtig, weil er im Zuge der europäischen Revolutionswirren das 1830 eröffnete Museum als Bollwerk gegen die Bildungsstürmerei verstand – er, der doch die bürgerlich-konstitutionellen Ideale der Freiheitskriege von 1813/15 durch die Restauration so verraten sah.

Seine „Perspektivische Ansicht von der Galerie der Haupt-Treppe des Museums durch den Portikus auf den Lustgarten und seine Umgebungen“ (1829) zeigt Vater und Sohn bei der Betrachtung jenes Freskos, das die Verbreitung der Bildung durch Poesie und Musik vorstellt. Poesie war für Schinkel Quell der Inspiration. Nach dem ersten Jahrhundertdrittel aber ist das allgemeine Verständnis für eine poetisch begründete Malerei geschwunden. Der Naturalismus der Düsseldorfer Malerschule wird als wegweisend empfunden, in der Landschaftsmalerei galt die Bewunderung Caspar David Friedrich.

Gerade Friedrichs Naturallegorien sind es, die Schinkel, der Bildungsbürger, ablehnt: „Landschaftliche Aussichten gewähren ein besonderes Interesse, wenn man Spuren menschlichen Daseins darinnen wahrnimmt. Der Überblick eines Landes, in welchem noch kein menschliches Wesen Fuß gefasst hat, kann Großartiges und Schönes haben, der Beschauer wird aber unbestimmt, unruhig und traurig, weil der Mensch das am liebsten erfahren will, wie sich Seinesgleichen der Natur bemächtigt, darinnen gelebt und ihre Schönheit genossen haben.“ An diesem Widerspruch zeigt sich, wie vielgestaltig die Epoche ist, die mit dem Schubladenbegriff „Romantik“ belegt wird. Man könnte Schinkel als „Bildungsromantiker“ bezeichnen. Der Pessimismus eines Friedrich war ihm fremd. Schinkel blieb Kind eines Aufbruchs, den er zeitlebens als unvollendet ansah, gerade so, wie die Zimmerleute auf seinem „Griechenland“-Gemälde frohen Mutes am Tempel der Zukunft bauen.

Helmut Börsch-Supan: Bild-Erfindungen. Karl Friedrich Schinkel Lebenswerk Band XX. München/Berlin, Deutscher Kunstverlag 2007. 702 Seiten, 168 €.

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