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Literatur: Kein Frieden am siebten Tag

Nahöstliches Echolot: Tom Segev zeichnet ein opulentes Bild Israels zur Zeit des Sechs-Tage-Kriegs

Mit einem Mann wie Eschkol an der Spitze wird Israel nicht lange Bestand haben.“ Mit diesen Worten watschte 1966 Israels Gründungsvater David Ben Gurion seinen Nachfolger Levi Eschkol gründlich ab. Zwar war er bereits 1963 von seinem Amt als Ministerpräsident zurückgetreten und nur noch ein einfacher Knesset-Abgeordneter, doch der mittlerweile Achtzigjährige sorgte auch weiterhin kräftig für Unruhe. Der nicht gerade mit viel Charisma gesegnete Levi Eschkol war entsetzt über die Attacken seines langjährigen politischen Weggefährten. Schließlich hatte er es sowieso schon alles andere als einfach. Mitte der 60er Jahre war Israel in eine wirtschaftliche Rezession gerutscht, und zu allem Überfluss stand es auch um die Sicherheit im Lande nicht gerade zum Besten. Jassir Arafats Al-Fatah-Bewegung verübte fast täglich Sabotage- und Terrorakte, und schließlich bauten sich durch die massive Aufrüstung Ägyptens und anderer arabischer Länder durch die Sowjetunion dunkle Wolken am Horizont auf.

„Ben Gurion wurde im Alter bitter und machte manchmal peinliche Äußerungen“, schreibt Tom Segev in seinem neuen Buch über den Sechs-Tage-Krieg. Damals vor genau 40 Jahren holte Israel zu seinem verheerenden Präventivschlag gegen die ägyptische Luftwaffe aus und besiegte in weniger als einer Woche die Armeen Ägyptens, Syriens und Jordaniens. Infolge des überwältigenden Sieges erlangte der junge jüdische Staat die Kontrolle über die Golanhöhen, das Westjordanland, den Gazastreifen sowie die Sinai-Halbinsel.

Nun geht es Segev nicht darum, einfach nur die militärischen Ereignisse nachzuerzählen. Er will ein detailliertes Bild über den Zustand der israelischen Gesellschaft und seiner politischen Führung in jenen Tagen vermitteln. Denn der Doyen der nicht mehr ganz so „Neuen Historiker“ hält das für unerlässlich zum besseren Verständnis darüber, warum es zu diesem Krieg kommen konnte. Und die Schlammschlachten zwischen den beiden „Alten“ gehören für ihn ganz klar mit dazu.

Aber nicht nur diese. Segev deutet die politischen Prozesse, die schließlich zu dem Entschluss führten, militärisch die Initiative zu ergreifen, als Resultat einer Art Generations- und Mentalitätskonflikt. Sowohl Eschkol als auch Ben Gurion und Golda Meir waren wie viele andere der „alten Garde“, die den jüdischen Staat aufgebaut hatte, um die Jahrhundertwende herum in Osteuropa geboren und sozialisiert worden. Ihnen gegenüber standen die geradezu juvenilen und im Lande aufgewachsenen Militärs, allen voran Mosche Dajan und Jitzchak Rabin. Sie glaubten, dass Angriff die beste Verteidigung sei, und bezichtigten die politische Führung, Gefangene einer Art „Diaspora-Mentalität“ zu sein und den jüdischen Staat deshalb wie die moderne Variante eines „Ghettos“ zu verwalten.

Egal, ob im Lande geboren oder nicht, das sich im Frühsommer 1967 abzeichnende Bedrohungsszenario seitens der arabischen Staaten zeigte Wirkung. Die gesamte israelische Gesellschaft war von einer durch die Erfahrungen der Schoah bedingten Todesangst erfasst, die auch vor den Militärs nicht haltmachte und ausschlaggebend für alles weitere Handeln war, so Segev. Generalsstabchef Rabin erlitt gar einen Nervenzusammenbruch. Segev zeigt, dass Israels politische und militärische Führung ziemlich kopflos auf die Situation reagierte und in der Vorkriegsphase angesichts einer Vielzahl widersprüchlicher Initiativen interner Rivalitäten und Intrigen alles andere als ein heroisches Bild ablieferte, wie es der glänzende Sieg gerne glauben lässt.

Segevs Blick ist aber nicht nur auf die politischen und militärischen Entscheidungsträger gerichtet. Darüber hinaus verweist er auf die gesellschaftlichen und ökonomischen Krisen, die das Land vor dem Sechs-Tage-Krieg erschütterten und denen die Regierung ebenfalls ohne überzeugende Konzepte gegenüberstand. Von zentraler Bedeutung war dabei die Frage des Umgangs mit den jüdischen Einwanderern aus Asien und Nordafrika, die mittlerweile rund die Hälfte der Bevölkerung Israels ausmachten. Wie Segev an zahlreichen Beispielen zeigt, war die Haltung der fast ausschließlich aus Europa stammenden Eliten ihnen gegenüber geprägt von einer, wenn man es wohlwollend formuliert, paternalistischen Attitüde, die für die kulturellen Traditionen dieser Menschen wenig Verständnis entgegenbrachte. Ihnen ging es um die Frage, ob Israel „europäisch“ bleibt oder eines nahen Tages „levantinisch“ und damit wie seine arabischen Nachbarn wird. Doch gerade für die zumeist nach 1948 aus Marokko oder dem Irak eingewanderten Juden hat der Sechs-Tage-Krieg eine ganz besondere Bedeutung, war es doch der erste Waffengang, an dem sie sich als Israelis bewähren konnten. Sie waren es, die maßgeblich Anteil an „Israels zweiter Geburt“ hatten.

Ebenfalls thematisiert Segev die Diskussionen nach dem Krieg, was mit den neu dazu gewonnenen Territorien geschehen soll. Auch dabei ging es zwischen Militärs, Politikern und Geheimdienstlern alles andere als ruhig zur Sache, wie er auf Basis von bis dato unveröffentlichtem Quellenmaterial zeigt. Vergessen war die Todesangst aus den Tagen vor dem 5. Juni 1967, nun herrschte eine Euphorie vor, die sich als verhängnisvoll für die Zukunft erweisen sollte.

Auf über 700 Seiten entblättert Segev einer Zwiebel gleich alle Schichten der israelischen Gesellschaft. Keine einfach zu konsumierende Lektüre möchte man meinen. Doch weit gefehlt! Denn Tom Segev ist von Hause aus nicht nur Historiker, sondern auch Journalist. Genau deshalb versteht er es, die komplexen Realitäten Israels sprachlich und inhaltlich zu vermitteln wie kaum ein Zweiter. Sein bewährtes Rezept: die Lebensläufe prominenter und gänzlich unbekannter Personen mit den historischen Ereignissen zu verknüpfen, wobei er ein Faible für auf den ersten Blick reichlich ungewöhnliche Details wie ein Buch mit Politikerwitzen oder Kampfflugzeug-Bilder auf Zigarettenschachteln an den Tag legt.











– Tom Segev:
1967. Israels zweite Geburt. Siedler Verlag, München 2007. 797 Seiten, 28 Euro.

Ralf Balke

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