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Andrea Maria Schenkel

© dpa

Krimi: Rache des Rangiergehilfen

Auf Nummer sicher: Andrea Maria Schenkels zweiter Dokukrimi "Kalteis" wird soviel Lob einstreichen wie ihr letztjähriges Debüt "Tannöd".

Man muss kein Prophet sein, um sehen zu können, dass die ehemalige Hausfrau Andrea Maria Schenkel für ihren neuen Roman "Kalteis" genauso viel Lob einstreichen wird wie für ihr Vorjahresdebüt "Tannöd". Denn sie ist aber auch zu schön, diese Geschichte, von der Arztgattin, die angekränkelt von des Alltags Blässe in Nittendorf bei Regensburg und gelangweilt von der Erziehung ihrer drei Kinder zur Freischreibung einen Krimi verfasste, der die Krimi-Kritiker jubeln ließ. Da also ist es, das Naturtalent, das nie ein literaturwissenschaftliches Seminar besucht hat, nicht einmal einen kreativen Schreibkurs. Ganz verzückt reagierte die Branche: Von der Tribüne in die Nationalmannschaft, dafür gab es den Deutschen Krimi-Preis und den Friedrich-Glauser-Preis, und nachdem auch Elke Heidenreich ihr Plazet gegeben hatte, verkaufte sich "Tannöd" über 250.000 Mal.

"Tannöd" beschrieb den sechsfachen Mord in einer bayerischen Einöde nicht aus einer Erzählung, sondern aus Gesprächsprotokollen heraus. Das war spannend, authentisch und sehr nah am Leben, weil eben ein realer Fall zugrunde lag. Der einzige Makel: Andrea Maria Schenkel hatte nicht angegeben, dass ihre Gerichtsprotokolle schon einmal in einem Sachbuch eines Münchner Journalisten abgedruckt waren. Es folgte das übliche Plagiatsgeschrei. Das Ganze war dann aber doch nur eine lässliche Sünde.

In "Kalteis" nun nennt Schenkel die Quellen, unter anderen den Fall Johann Eichhorn. 1906 in Aubing bei München geboren, verheiratet, Vater von zwei Kindern, war Eichhorn ein schwer kranker, schwer perverser Rangiergehilfe und fünffacher Frauenmörder. Aktenkundig sind zudem etwa 90 Vergewaltigungen. Leistete sein Opfer Widerstand, tötete er es, verging sich am Leichnam, schnitt den Frauen intime Körperteile aus dem Leib und steckte sie in den Mund. Mit seiner Hinrichtung beginnt Schenkel ihre Aufzeichnungen. Eichhorn ist Josef Kalteis.

Dann ist da noch Kathie, Schenkels andere Hauptfigur. Kathie ist ein Mädchen vom Lande, gut aussehend, naiv, lebenslustig, das später in München aufblüht, allerdings in der semiprofessionellen Prostituiertenszene. Kathie und Kalteis steuern aufeinander zu, das ist mit der Einführung beider Figuren klar. Daraus ergibt sich, dass Kathies Handlungen und Denken weitgehend fiktiv sind: ermordete Opfer können keine Protokolle mehr geben.

Gegen Ende wird's ekelhaft, widerlich, pervers

Das Problem von "Kalteis" ist, dass man alles bereits kennt: Erzählstruktur, Erzählweise, Sprachstil, die Milieus, aus denen berichtet wird, Handlungsabläufe. "Tannöd" war ein kleines Bändchen von nur 125 Seiten. Das tat der Geschichte gut und war möglicherweise mit Bedacht so konzipiert. Weil auf Dauer diese Gesprächsprotokolle doch anöden. Und nun, nur ein Jahr darauf, geht es weiter im nämlichen Stil. Das hemmt "Kalteis" gewaltig. Träge entwickeln die Befragten, Bekannten und Verwandten der beiden Hauptpersonen die Geschehnisse, und dies in einer oft sehr künstlichen Sprache.

Schenkel sagt selbst, beide Bücher seien Fingerübungen gewesen für den großen, dann fiktiven Roman, der 2009 fertig sein soll. Nach "Kalteis" glaubt man das gerne. Es passt nicht zusammen, wenn die Sprache aufs Knappste reduziert ist und versucht, mit kurzen Sätzen so etwas wie Atemlosigkeit zu erzeugen, andererseits die Sprecher jedoch den Satzbau vom Ende zum Anfang drechseln. "Auf eine Parkbank setzt sie sich." "Nicht mehr zurück möchte sie." Gegen Ende wird’s dann ekelhaft, widerlich, pervers. Aber warum? Dass Josef Kalteis ein schwer gestörter Mensch ist, ist deutlich genug, und das von Beginn an. Dazu bedarf es keiner detaillierten Schilderung einer abscheulichen Vergewaltigung. Das erhellt nichts und wirkt aufgesetzt, gerade so, als traue Schenkel dem eigenen Genre und Stil nicht mehr zu, von sich aus spektakulär zu sein. Sind sie auch nicht. "Kalteis" wird nicht spektakulärer durch unnötiges Reizen des Brechimpulses.

Wäre da nicht diese schöne Geschichte von der Hausfrau, Mutter und Arztgattin, die aus Überdruss mit dem "Freischreiben" begonnen hat. Die nächste Episode ist bereits in Arbeit: Der Gatte nimmt sich immer mal wieder frei und versorgt die Kinder. Dann kann Andrea Maria Schenkel zwischen den Talkshowbesuchen zu einem irischen Cottage reisen und sich am nächsten Buch freischreiben. So schöne Geschichten schreibt nur das Leben.

Andrea Maria Schenkel: Kalteis. Edition Nautilus, Hamburg 2007, 152 S., 12,90 €

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