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Leo Africanus: Der päpstliche Muslim

Spannend wie ein Roman: Natalie Zemon Davis stellt heute in Berlin ihre Biografie über Leo Africanus vor.

Von Caroline Fetscher

Satt war das Gastgeschenk an den Sultan von Fes. Hundert schwarze Sklaven bekam er, dazu zehn Eunuchen, zwölf Kamele, eine Giraffe, zehn Strauße, 16 Zibetkatzen, Ambra, Moschus, 600 Antilopenhäute, Datteln und äthiopischen Pfeffer. All diese Gaben hatte ein Stammeshäuptling aus dem Hohen Atlas mitgebracht, um dem marokkanischen Herrscher seine Ehre zu erweisen. Am Hof des Sultans befand sich der wache, junge Diplomat und Gelehrte Al-Hasan al-Wazzan, der sich an die Szenen erinnert. Ihm konnte der Gast wenig imponieren. Er schrieb und sprach unbeholfen „im Stil antiker Redner“. Am Hof gab man sich Mühe, nicht zu lachen, erinnert sich al-Wazzan, später bekannt als „Leo Africanus“, in einem seiner beiden großen Bücher über Afrika, die er auf Italienisch verfasste. Dennoch, setzt der Autor hinzu, bedankte sich der Sultan formvollendet.

Natalie Zemon Davis, die heute Abend in der Staatsbibliothek Berlin über ihre Studie „Leo Africanus. Ein Reisender zwischen Orient und Okzident“ Auskunft gibt, hat das Leben von al-Wazzan auf eine Weise ausgeleuchtet, die einem den um 1486 geborenen Mann lebhaft vor Augen führt: seine Interessen, seinen Charakter, seine Lebensumstände. „Leo Africanus“ liest sich spannend wie ein Roman, dem man nicht anmerkt, dass er sich aus Tausenden historischer Indizien zusammensetzt. Spürbar ist das überbordende Interesse an der Epoche und ihren Akteuren. Gewissermaßen nebenher entfaltet sich das Panorama der Zeitgenossen in Nordafrika und Europa: Geschichte, wie sie besser kaum geschrieben werden kann.

Die Historikerin Davis, die in Detroit zur Welt kam, vergangenen November achtzig Jahre alt wurde und lange in Princeton lehrte, ist eine Vordenkerin ihres Faches. Wo sie in Quellen eintaucht, auf all ihren Gebieten – Renaissance und Reformation, Genderstudies, Jüdische Geschichte – destilliert sie daraus als interdisziplinär denkende Kulturwissenschaftlerin individuelle Geschichten und zugleich historische Panoramen. Ihre Aufmerksamkeit reicht von den Rahmendaten bis zur winzigen, handschriftlichen Randnotiz auf einem Manuskript. Beste schrifstellerische Eigenschaften wie Vorstellungskraft, Musikalität und Empathie verbindet Davis mit Sorgfalt beim Quellenstudium, Kenntnisfülle und sozialpolitischer Bewusstheit. Das gilt auch für ihre anderen Bücher, etwa „Die wahrhaftige Geschichte von der Wiederkehr des Martin Guerre“ oder „Mit Gott rechten – Das Leben der Glikl bas Judah Leib, genannt Glückel von Hameln“.

„Leo Africanus“ begegnete Davis schon 1950, als ihr eines seiner Bücher in die Hände fiel. Ab 1995 widmete sie sich intensiv dieser Biografie, die zwar relativ spektakulär war, doch nicht hochrangig genug, um in die gängige Geschichtsschreibung Einzug zu halten. Geboren als Al-Hasan ibn Muhammad al-Wazzan in Granada, muss der Junge die Stadt mit seiner Familie verlassen, als die katholische Reconquista das Leben der Muslime bedrohte. Im marokkanischen Fes studiert der begabte Knabe bei Koran- und Rechtsgelehrten, auf Reisen mit einem Onkel lernt er verschiedene Gesellschaften Nordafrikas kennen und wird Gesandter des Sultans von Fes. Diplomatisches Geschick und Weltgewandtheit zeichnen den Mann bereits aus, als er 1518 beim Überfall auf ein Schiff zum Gefangenen von Mittelmeerpiraten wird. Da der Bruder des Chefpiraten als Kardinal am Vatikan wirkt, beschließt der Seeräuber, seine feine Beute dem Papst zum Geschenk zu machen. Al-Wazzan wird nach Rom auf die Engelsburg verschleppt, wo er bald als Edelhäftling die vatikanische Bibliothek nutzen kann. Dort findet Zemon Davis die Bücher und Manuskripte, die Al-Hasan al-Wazzan ausleihen durfte, sie folgt ihm damit in seine so jäh veränderte Welt.

Den Papst treibt der ideologische Kampf gegen das aufkommende Luthertum, und er hegt Pläne für Kreuzzüge gegen die Türken. Einen Muslim mit erstklassiger Kenntnis des Arabischen will er zu seinen Nutzen einsetzen. Der wiederum steht offenbar vor der Wahl, Häftling zu bleiben oder Täufling zu werden. Er konvertiert. Papst Leo X. persönlich tauft ihn im Petersdom auf seinen Namen. Bis zu seiner Flucht 1527 ist Yuhanna al-Asad, wie sich al-Wazzan nun nennt, als Arabischlehrer, Übersetzer und Autor in Rom und Bologna tätig und schreibt eine Sprache, bei der die Grenzen zwischen Latein, Italienisch und Spanisch manchmal verfließen. Die ruhige Begeisterung, mit der Zemon Davis erzählt, spannt einen kunstvollen Bogen zwischen Makro- und Mikrohistorie.

Natalie Zemon Davis: Leo Africanus. Ein Reisender zwischen Orient und Okzident. Aus dem Englischen von Gennaro Ghirardelli. Wagenbach, Berlin 2008. 400 Seiten, 36 €. – Die Autorin stellt ihr Buch heute, Dienstag, um 19 Uhr im Gespräch mit Sigrid Löffler in der Staatsbibliothek zu Berlin, Potsdamer Str. 33, vor. Eintritt frei.

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