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Literatur BETRIEB: Das große Ich-Sagen

Gerrit Bartels lernt Thomas Glavinic kennen

Thomas Glavinic ist da ganz und gar nicht kokett. „Das bin doch nicht ich“, erklärt er während einer Lesung in Berlin, „dieses Ich, das in meinem Buch erzählt, ist ein ganz anderer. Das wäre ja schlimm, wenn ich das wäre“. Man merkt Glavinic an diesem Abend an, wie oft er schon gefragt wurde, ob er selbst denn der Ich-Erzähler mit dem Namen Thomas Glavinic sei, der in seinem letzten Roman „Das bin doch ich“ zahlreiche Neurosen pflegt und von dem Freund und Kollegen Daniel Kehlmann regelmäßig über die immer exorbitanter werdenden Buchverkäufe von „Die Vermessung der Welt“ informiert wird.

Routiniert, aber mit Spaß an der eigenen Freude weist Thomas Glavinic von sich, Thomas Glavinic zu sein und erklärt, „Das bin doch ich“ sei keine Literaturbetriebssatire, sondern „ein Roman über Angst und Einsamkeit“. Sein Publikum will ihm das nur zu gern glauben und ist dermaßen eingeschüchtert, dass es nicht einmal fragt, wer denn eigentlich der „größte Starautor der westlichen Welt“ sei, der in „Das bin doch ich“ seinen Auftritt hat. Könnte ja Jonathan Franzen sein.

Wer aber nun dieser Thomas Glavinic ist, das lässt sich auch beim anschließenden Weintrinken und einem Mitternachtsimbiss bei seiner Agentin Karin Graf nur schwer herausfinden. Glavinic, so viel scheint sicher, ist ein Schriftsteller, der es gelernt hat, auf Lesungen und Veranstaltungen ihm zu Ehren nett und freundlich zu sein. Sein Schwatzmaschinchen schnurrt, von kauziger Verbocktheit keine Spur. Im Zwiegespräch mit seinen Fans erklärt der in Graz geborene Glavinic, von vielen deutschen Städten nur die Hotelzimmer und Lesesäle zu kennen; er glaubt, dass ein Schriftsteller schon in jungen Jahren zumindest ein Großwerk abgeliefert haben müsse, sonst werde das im Alter nichts mehr (Welches seiner Bücher er dafür hält, sagt er lieber nicht). Oder er erzählt, wie froh er über die Deutsche-Buchpreis-Nominierung gewesen sei: Die Jury-Vorsitzende Felicitas von Lovenberg hätte ihm ihren Auftritt in „Das bin doch ich“ gar nicht übelgenommen! Und schon Germanistikstudenten im ersten Semester wüssten doch: Felicitas von Lovenberg ist in seinem Roman ja auch gar nicht Felicitas von Lovenberg.

Was aber auffällt: Thomas Glavinic will an diesem Abend so gar nicht von seiner ebenfalls anwesenden Kollegin Jenny Erpenbeck lassen, er hält sich geradezu fest an ihr. Was vermutlich auch daran liegt, dass Erpenbecks Mann gleichfalls aus Graz stammt und sie die Stadt gut kennt. „Den ,Maykäfer’, dein Stammlokal, das sagt mir aber nichts“, gesteht sie. „Das gibt’s doch auch gar nicht“, flötet er.

So kommt es, dass bei Karin Graf eine andere Schriftstellerin Glavinic die Schau stiehlt: Louise Jacobs. Überrascht, dass man nicht weiß, wer sie ist, verweist Jacobs auf ihre Herkunft (Kaffeedynastie!). Und: Vor zwei Jahren habe sie ein Buch über ihre Familie geschrieben, „Café Heimat“; ein Sachbuch, das aber eigentlich ein Roman sei, der es in der Sachbuchbestsellerliste des „Spiegels“ auf Platz zwei geschafft hätte. Trau, schau, wem!

Noch überraschter, um nicht zu sagen: geradezu verärgert, ist Louise Jacobs jedoch, als ich sie nach ihrem eigentlichen Beruf frage: „Ich bin doch Schriftstellerin!“ Kurz darauf unterhält sie die anwesenden Literaturbetriebsmenschen mit den Problemen, die sie gerade mit ihrem neuen Roman hat: Ihr Freund spiele da eine wichtige Rolle, so Jacobs. Der sei ihr Lektor und auch ihr Agent, der arbeite bei einem Verlag, oder auch nicht, der lese den Roman gerade, oder auch nicht. Und sie würde sich doch sehr freuen, wenn ihr Roman in diesem Herbst noch erscheine. Den Verlag, der das fertigbringen soll, will sie dann aber lieber nicht verraten.

Freundlich lächelnd ziert und schämt sich Louise Jacobs – sie ist ja auch erst Jahrgang 1982! –, ganz tapfer bestrebt, nicht zu viel über Freund, Lektor, Agentur, Buch und neuen Verlag zu verraten. Weiterbohren, fragen die umsitzenden Damen und Herren sich. Oder das Ganze für einen hübschen, Thomas Glavinic alle Wasser reichenden Fake halten? Louise Jacobs ist das egal, sie schweigt auf einmal. Ob sie jetzt mit ihren Gedanken bei ihrem Freund ist? Hat sie je etwas von Thomas Glavinic gehört? Als sich Glavinic und Jenny Erpenbeck irgendwann zu ihrer Runde gesellen, ruft plötzlich jemand aus: „Aber das ist doch er!“

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