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Literatur BETRIEB: Das große Überlebnis

Gerrit Bartels zeigt die zwei Gesichter des Suhrkamp-Verlags

In Frankfurt ging letztes Jahr das Gerücht um, Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz beschäftige eine Doppelgängerin. Zur selben Zeit, in der sie mit mehreren Leuten in einem Frankfurter Restaurant zu Gast war, will man gesehen haben, wie sie lesend im Fond des Unseld-Jaguars saß und sich durch die Stadt chauffieren ließ. Kein Popstar, keine Politikerin, aber Ulla-Dampf-in-allen-Gassen, könnte man meinen.

Das Gerücht passt gut zum Suhrkamp- Verlag und seiner Verlegerin. Gerade im vergangenen Jahr zeigte der große bundesrepublikanische Traditionsverlag seine zwei Gesichter. Das eine ist griesgrämig-verzerrt: Der Verlag sieht sich durch eine Art feindlicher Übernahme bedroht und produziert ungewollt Schlagzeilen, macht dabei in der Außendarstellung aber eine unglückliche Figur. Das andere ist freundlich-optimistisch, hat doch Suhrkamp inhaltlich einiges erfolgreich gestemmt. So den Start des Verlags der Weltreligionen, dessen erstes Programm mit Augustinus’ „Bekenntnissen“ oder al-Nawawis „Buch der vierzig Hadithe“ imponierte und gute Noten von Kritik und Wissenschaft bekam; so auch manche Veröffentlichung etwa in der Edition Suhrkamp, vom Arbeitsreportagenband „Schicht!“ über Detlef Kuhlbrodts Miniaturensammlung „Morgens leicht, später laut“ bis zum unermüdlichen Dietmar Dath im Belletristiksegment.

Dath wurde bei der Premiere seines Romans „Waffenwetter“ in der Berliner Volksbühne denn auch von Berkéwciz höchstpersönlich und selbstredend pathetisch als neuer Erlöser gefeiert: „,Waffenwetter’“, so Berkéwicz, „ muss mit dem Ohr gelesen werden. Anhören können sich das alle. Moralisch verbessert und erhoben werden aber nur die Gläubigen.“ Dass es weiterhin keinen Ersatz für Daniel Kehlmann und für Martin Walser gibt, mit denen Rowohlt viel Geld verdient (das Suhrkamp auch sehr nötig hätte), – nun gut, hilft halt alles nichts, man arbeitet dran.

Als problematisch dagegen erwies sich der Umgang mit den vermeintlich neuen Mitteilhabern (von denen der eine, Grossner, sich als großer, finanzklammer Blender erwiesen hat und schon ausgestiegen ist), und den damit zusammenhängenden Klagen und Schiedsgerichtsverfahren. Peinlich war die von Suhrkamp veröffentlichte Meldung, Barlach und Grossner seien mit hohen Geldstrafen wegen Verleumdung belegt worden. Nur handelte es sich dabei um keine Strafbefehle, sondern um zur Prüfung anstehende Strafanträge wegen übler Nachrede über Ulla Unseld-Berkéwicz, die irrtümlich an Suhrkamp gingen. Eine Geschichte, die beweist, wie schwer die juristische Suhrkamp-Gemengelage auch für die eigene Verlagsspitze zu durchschauen ist.

Dass die Verlegerin darüber nur ungern Auskunft gibt, ist verständlich. Gewiss ist Unseld-Berkéwicz offener geworden, zumindest übt sie sich vermehrt im Händeschütteln und im Führen von Small Talks auf Verlagsempfängen. Die Bunkermentalität existiert aber weiter. Interviewanfragen werden von ihr durchweg abgelehnt. Wenn trotzdem Artikel erscheinen, wie vor der Frankfurter Buchmesse im „SZ–Magazin“ über den „Untergang des Hauses Suhrkamp“, reagiert der Verlag beleidigt: Der Autor wurde vom traditionellen Kritikerempfang ausgeladen.

Ja, uff, und weil wir das mit dem Gossip nicht zu weit treiben wollen, halten wir uns lieber an die Bücher, die da kommen – letztendlich das Suhrkamp-Nonplusultra. Nächste Woche veröffentlicht der Verlag Neues von Enzensberger und Handke, später Romane von Hans-Ulrich Treichel und Andreas Neumeister (schon jetzt Titel des Jahres: „Könnte Köln sein“). Last but not least gibt es auch von der Schriftstellerin Ulla Berkéwicz ein neues Buch, einen Essay über den Tod namens „Überlebnis“. Ein Satz daraus steht in der Suhrkamp-Programmvorschau: „Dann weiß ich nichts mehr, nur noch, daß sein Bild, das Bild, das früher hinterm Schrank stand, an der Wand hing, daß Leute in dem Haus, in unseren Räumen, daß sie durch unsere Räume redeten, die Räume, die ich mit ihm hatte.“ Siegfried, wir hören dir trapsen! Vielleicht erklärt Ulla Berkéwicz in ihrem Buch auch, wie es zu Erscheinungen wie der doppelten Ulla in Frankfurts City kommen kann.

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