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Literatur BETRIEB: Das große Verhauen

Gerrit Bartels bemitleidet die jüngere deutschsprachige Gegenwartsliteratur

Die deutschsprachige Gegenwartsliteratur hat es weiß Gott nicht leicht. Als sie während der Leipziger Buchmesse ihre großen Werbeauftritte hatte, als Clemens Meyer endlich den zum vierten Mal ausgelobten Preis der Leipziger Buchmesse mit der Bierflasche in der Hand bejubeln durfte, wunderte sich ein Literaturkritiker darüber, wie viel Aufmerksamkeit unsere jüngere Gegenwartsliteratur inzwischen bekommen würde. Und überhaupt: Wie pfleglich man allgemein mit ihr umgehe, wie behaglich sich der Betrieb gerade mit seinen Kumpfmüllers, Zaimoglus, Francks und Erpenbecks einrichte und die Welt draußen eine schlechte sein lasse. Zögerlich, im Abstand mehrerer Wochen legten zwei Kritiker von den Chef-Feuilletons nach und versuchten eine Debatte zu entzünden, aus der in Form zweier Verteidigungsreden der Angegriffenen allerdings nicht mal ein Debättchen wurde.

Der eine mäkelte in der „SZ“ an der gerade regierenden „Sabine-Christiansen-Literatur“ herum, an den Politromanen von Michael Kumpfmüller, Dirk Kurbjuweit, Bernhard Schlink und Georg M. Oswald, und verwies auf das zunehmend verschwindende Bewusstsein für Sprache und Form bei den Autoren; der andere polemisierte, vermutlich ernst gemeint, mal wieder gegen die Literaturpreisinflation und forderte, den Schriftsteller von heute richtig auszuhungern, auf dass er wütend werde und richtig wütende Literatur produziere.

Arme deutschsprachige Gegenwartsliteratur: Hatte sie nicht alles richtig gemacht? Hatte sie sich nicht nur brav in der deutschen Vergangenheit umgetan, hatte sie nicht nur mal wieder brav die Liebe erkundet, sondern Gegenwartsromane vorgelegt, politische zumal, und war sie nicht sogar nach Ruanda und Birma, in den Irak oder nach Chile gereist (Welt!, Welthaltigkeit!)? Und dann wieder diese übelgelaunte Kritik! Die einfach die Wohlbestalltheit eines Marcel Proust oder eines Thomas Mann ausblendet. Oder die wie im Fall des stets kulturpessimistischen und die McDonaldisierung der Literatur anprangernden „SZ“-Kritikers nicht zuletzt Medienschelte betreibt und die eigene Zunft vorführt, die zum Beispiel Ernst-Wilhelm Händler (übrigens ein Unternehmer, kein Hungerleider!) oder Reinhard Jirgl nicht zu würdigen weiß (was sie schon bisweilen tut – die Bücher von Händler und Jirgl kauft bloß keiner).

Endlich hat sie Stoffe, endlich kann sie erzählen, die jüngere deutschprachige Gegenwartsliteratur, und wieder ist es nicht richtig. Was auch deshalb ach so gemein ist, schaut man sich an, was die Verlage aus anderen Ländern heranschaffen, insbesondere aus dem so hochgelobten, einst vorbildhaften angloamerikanischen Raum: J. P. Moehringer, Marisha Pessl, Jonny Glynn oder Andrew McGahan. Solide jüngere Autoren mit soliden Büchern, gewiss, die aber niemand vom Hocker reißen und zudem in letzter Zeit häufig von Wiederentdeckungen größerer toter Autoren flankiert werden, von Büchern eines Richard Yates, eines John O’Hara oder eines John Cheever.

Es sieht so aus, als gebe da ein ehemals großer, attraktiver Markt nicht mehr viel her. Ein neuer Roth, DeLillo oder Pynchon, eine neue Munro scheinen nicht in Sicht, und so müssen diese es, solange sie noch können, jedes Mal aufs Neue richten. Hierzulande verhält sich das etwas anders, zuungunsten der jüngeren deutschsprachigen Literatur, versteht sich. Denn richten es die alten Angloamerikaner tatsächlich, bestehen in Deutschland Zweifel. Ging Walsers Goethe-Liebesroman ja noch an, dürfte das Feiern von Siegfried Lenz’ Novelle „Schweigeminute“ insbesondere dem Respekt vor Lenz’ Lebenswerk geschuldet sein. Und neuestes Ungemach droht auch wieder aus Lübeck: Günter Grass hat die Zwiebel weiter gehäutet und seine Autobiografie weitergeschrieben. Das dürfte im August, da das Buch erscheint, wieder für Trubel und Cheftexte in den Feuilletons und anderswo sorgen. Ingo Schulze, Norbert Gstrein oder Uwe Timm, die ebenfalls neue Bücher veröffentlichen, haben gegen Grass aufmerksamkeitsökonomisch keine Chance. Und was ist da verständlicher als der Ausbruch von Maxim Biller, als er an der Theke seines Lieblingscafés 103 stehend rief: „Mensch, interviewt doch nicht immer den Walser! Interviewt mich!“

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