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Literatur BETRIEB: Der große Unterhalter

A ls ein Kollege neulich bei Marcel Reich-Ranicki anrief, um ihn zu bitten, ein paar Zeilen über den Umgang mit Literatur im ZDF der Nach-Heidenreich-Ära zu schreiben, antwortete dieser: „Mein Lieber, so einen Blödsinn mache ich nicht, ich habe wirklich zu arbeiten.“ Das war eine klare Abfuhr, wie sie in ihrer Deutlichkeit, ihrem Verzicht auf jegliches diplomatische Getue nur Marcel Reich-Ranicki erteilen kann – und wie sie natürlich sofort an seinen schönen, nachhaltigen Auftritt bei der Gala zum Deutschen Fernsehpreis erinnerte, als er sich nicht nur weigerte seinen Preis anzunehmen, sondern diese Veranstaltung und gleich das gesamte deutsche Fernsehprogramm in Bausch und Bogen verdammte, unter anderem ebenfalls mit der Vokabel „Blödsinn“.

A ls ein Kollege neulich bei Marcel Reich-Ranicki anrief, um ihn zu bitten, ein paar Zeilen über den Umgang mit Literatur im ZDF der Nach-Heidenreich-Ära zu schreiben, antwortete dieser: „Mein Lieber, so einen Blödsinn mache ich nicht, ich habe wirklich zu arbeiten.“ Das war eine klare Abfuhr, wie sie in ihrer Deutlichkeit, ihrem Verzicht auf jegliches diplomatische Getue nur Marcel Reich-Ranicki erteilen kann – und wie sie natürlich sofort an seinen schönen, nachhaltigen Auftritt bei der Gala zum Deutschen Fernsehpreis erinnerte, als er sich nicht nur weigerte seinen Preis anzunehmen, sondern diese Veranstaltung und gleich das gesamte deutsche Fernsehprogramm in Bausch und Bogen verdammte, unter anderem ebenfalls mit der Vokabel „Blödsinn“.

Nachdem es zuletzt etwas still um ihn geworden war, gerade vor dem Hintergrund der Jahre 2005 bis 2007 (85.Geburtstag bis zur Verleihung der HU-Ehrendoktorwürde), war dies die ultimative Rückkehr von Reich-Ranicki auf die Medienbühne. Und was für eine: Wochenlang diskutierten Medien und Fernsehleute über die miese Qualität des Fernsehens, ungeachtet der Tatsache, dass ein 88-jähriger, zeit seines Lebens mit der Literatur beschäftigter Kritiker ein fundiertes TV-Qualitäts-Urteil kaum treffen kann und eher aus dem Bauch heraus reagierte. (Die schlimmsten Untiefen des Fernsehprogramms kennt Reich-Ranicki vermutlich gar nicht)

Doch Reich-Ranicki ist eine Instanz, dazu mit hohen Entertainmentqualitäten, und er erfüllt die unstillbare Sehnsucht des Publikums nach einer solchen perfekt. Das beweist auch der Streit, der sich kurze Zeit später zwischen Reich-Ranicki und der Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz entspann. Es ging dabei um eine MRR-Reihe mit sechs Büchern über große Autoren der Literaturgeschichte (u.a. „Mein Schiller“, „Mein Heine“, „Mein Büchner“), die Reich-Ranicki ursprünglich bei Suhrkamp veröffentlichen wollte und die er nun nach Zwistigkeiten mit der Unseld-Witwe („eine böse Frau“, soll er sie genannt haben) aber bis auf den Schiller-Band beim Hamburger Verlag Hoffmann & Campe herausbringt.

„Warum es keine Meldung ist, dass Reich-Ranicki Suhrkamp verlässt“ unterzeilte die Süddeutsche Zeitung dialektisch korrekt einen Text, der weit mehr als nur eine Meldung war – gegen gute Unterhaltung hat schließlich auch diese Zeitung nichts einzuwenden. Zwei Verlage, die um seine Bücher buhlen – das wiederum beweist einmal mehr, wie gut Reich-Ranicki–Bücher gehen, wie wichtig sie für die Nation sind, Instanz, Instanz! – selbst wenn man davon ausgehen kann, dass Reich-Ranicki mit dieser Reihe alten Wein in neuen Schläuchen offeriert und aus seinen Anthologien, Büchern und Zeitungstexten sampelt und kompiliert.

Ist so ein Streit eher eine Literaturbetriebsanekdote, die erst durch seine Beteiligung ihre höheren Soap-Weihen bekommt, so hat Reich-Ranicki aber auch selbst nichts gegen reine Showauftritte: Für die Jahresrückblicksendung von Johannes B. Kerner ließ er sich doch tatsächlich dazu bewegen, Charlotte Roches Buch „Feuchtgebiete“ zu beurteilen: „keine Literatur, kein Stil“, wer hätte das gedacht? Bei solchen Auftritten setzt Reich-Ranicki sich jedoch durchaus selbst dem Verdacht aus, für jede typisch schwachsinnige Fernsehidee (MRR meets Roche!) gern mal zur Verfügung zu stehen, anstatt zu antworten: „So einen Blödsinn mache ich nicht!“

Wie Reich-Ranicki aber die letzte Literatursendung des ZDF gefunden haben mag? Diese lief neulich unter dem Label „Aspekte extra“ und wurde in der von Tagesspiegelmitarbeitern häufig und gern frequentierten Joseph-Roth-Diele (großartige Fernsehidee, literarisches Ambiente!) in der Potsdamerstraße in Berlin aufgezeichnet. Wolfgang Herles und Christine Westermann saßen hier bei einem Glas Rotwein zusammen, um eine halbe Stunde lang Neuerscheinungen vorzustellen. Und wer die beiden dort sitzen sah, wie sie sich müde und uninspiriert ein bisschen über die Bücher zu streiten versuchten, der wünschte sich doch sehr die apodiktischen Urteile von Reich-Ranicki und selbst den Empfehlungsfuror einer Elke Heidenreich zurück.

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