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Literatur BETRIEB: Die große Nachlese

Gerrit Bartels plagt sich mit den Nachwirkungen der Buchmesse herum

Das Schöne, aber auch Gefährliche an einer Buchmesse ist, dass sie die Literaturmenschen ganz weit aus ihrem Alltag herausschleudert. Kaum jemand, der nicht gern nach Frankfurt (oder nach Leipzig im Frühjahr) fährt; aber auch kaum jemand, der nach mehrtägigem Dauerreden und Dauerrauschen keine Probleme damit hat, zurückzufinden in den privaten wie den beruflichen Alltag. So erzählte die Presseleiterin eines Münchener Verlags neulich, dass eine verheiratete Kollegin ihren schlimmsten Ehekrach ever direkt im Anschluss an eine Buchmesse gehabt hätte: Ihr Mann wollte eine Bergwanderung machen, und anstatt ihren Buchmessenkater zu pflegen, tat sie ihm den Gefallen. Die Wanderung muss katastrophal verlaufen sein, es folgte eine einwöchige eheliche Funkstille.

Die Buchmesse ist eine seltsame Parallelwelt, die sich Außenstehenden kaum vermitteln lässt. Was hier für Erregung sorgt, was hier an Nachrichten produziert wird, ist dort – zu Hause, bei den Kollegen im Büro – nicht mehr als ein Gähnen wert: Ach, echt! Und weiter?

Das Erstaunliche ist, dass sich manche Literaturmenschen dem ganzen Buchmessentrara doch ganz gut entziehen können oder müssen. So wie etwa der Frankfurter Schriftsteller Wilhelm Genazino, der eines frühen Buchmessenabends äußerst desinteressiert draußen am Frankfurter Hof vorbeischlurfte und die dort zuhauf sitzenden Literaturmenschen keines Blickes würdigte. Allerdings sah er, das muss man auch sagen, alles andere als ein Flaneur aus, irgendwie neben der Kappe. Muss man sich Sorgen machen?

Oder so wie der ebenfalls in Frankfurt lebende Literaturkritiker S., der sich auf eine Moderation beim Göttinger Literaturfest einen Tag nach der Frankfurter Buchmesse vorbereiten musste. S. hatte wirklich andere Sorgen: Umso perfekter geplant seitens des Literaturfestivals sein Auftritt nämlich war – von der unbedingt von ihm einzuhaltenden Wagen- und Platznummer im Zug bei der Anreise bis zu den auf die Sekunde terminierten drei Minuten Schriftstellervorstellung bei der Moderation –, desto mehr fragte er sich, ob er diesen Anforderungen überhaupt gerecht werden könne. Tatsächlich verpasste er gleich bei der Ankunft in Göttingen die ihn abholende Mitarbeiterin des Festivals – der Zug war zwei Minuten zu früh da.

Andere wiederum verfahren nach der legendären Devise des ehemaligen Trainers der Frankfurter Eintracht, Dragoslav Stepanovic: „Läbbe geht weiter.“ Der Literaturagent Michael Gaeb etwa berichtete, was für einen wahnsinnigen Spaß er auf der Buchmesse gehabt hätte; doch genauso viel Spaß werde er demnächst in Argentinien und Chile haben, wohin er für zwei Wochen hinfliegt, um Gespräche mit Autoren und Autorinnen zu führen. Gaeb ist mexikanischer Abstammung und betreut und vermittelt mit seiner Agentur auch einige lateinamerikanische Schriftsteller, Jorge Edwards zum Beispiel, César Aira oder Guillermo Fadanelli.

Gerade für Schriftsteller hat eine Buchmesse sowieso nur einen Wert, wenn ein Buch von ihnen aktuell veröffentlicht wird. Rainer Merkel zum Beispiel hat die diesjährige Frankfurter Buchmesse nur am Rande verfolgt. Nicht einmal die für den Deutschen Buchpreis nominierten Bücher interessieren ihn groß. Das würde ihn, so Merkel, nur nervös machen und von der eigenen Arbeit ablenken. Merkel ist gerade mit der Endfassung seines neuen, inzwischen dritten Romans beschäftigt. Ende des Jahres will das Lektorat den Roman sehen, für den Herbst 2008 ist die Veröffentlichung geplant.

Und wer weiß, ob er damit nicht gar auf der Buchpreis-Shortlist 2008 landet, so wie in diesem Jahr seine Verlagskollegin Julia Franck, die bekanntlich den Preis auch erhielt. „Die Mittagsfrau“ wurde vom Buchhandel einen Tag später schon 40 000-mal bestellt und kletterte auf Platz eins der Bestsellerlisten. Diese Woche erst wurde Franck vom jetzt auch ins Deutsche übersetzten letzten Harry-Potter-Band verdrängt. Was nicht tragisch ist, schaut man sich die Büchertische in den Buchhandlungen an: „Die Mittagsfrau“ liegt überall sichtbar aus, genauso sichtbar und zum schnellen Mitnehmen gedacht wie die Taschenbuchausgaben der anderen Franck-Bücher. Für Julia Franck hat diese Buchmesse nur wunderbare Nachwirkungen gehabt.

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