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Literatur: Die Mitte des Universums ist weiblich

Fintenreicher Frauenversteher: Mircea Cartarescu erklärt in seinen Geschichten, warum Männer Frauen lieben.

Mein Leben ist nicht sehr ereignisreich, und die interessantesten Begebenheiten, an die ich mich erinnern kann, habe ich in meinen Büchern schon maximal ausgebeutet“, lässt Mircea Cartarescu tiefstapelnd seinen Ich-Erzähler behaupten. Kürzlich erschien der erste Teil seines neobarocken Bewusstseinspanoramas „Die Wissenden“ auf Deutsch.

Nun überrascht der Romancier als fintenreicher Frauenversteher. Die von federleichter Selbstironie getragene Geschichtensammlung „Warum wir die Frauen lieben“ schrieb er im Auftrag der rumänischen „Elle“. In Buchform entwickelte sie sich unverhofft zum Bestseller. Ernest Wichner übertrug die Aventüren eines Herzens in ein geschmeidiges Deutsch. Cartarescu erläutert: „Zunächst habe ich nach einer Stimme gesucht, der Frauen vertrauen könnten. Und die zarteste und zugleich flexibelste Stimme in der Literatur des 20. Jahrhunderts ist die von Jerome Salinger, die Erzählerstimme von ,Der Fänger im Roggen‘, von ‚Franny und Zooey‘. Ich habe also versucht, meine übliche, eher barocke Diktion dieser sehr schlichten und sehr biegsamen Sprechweise anzupassen. Denn das raffinierteste Unterfangen in der Literatur besteht darin, Einfachheit anzustreben.“

Tausend Gründe führt Mircea Cartarescu für die Liebenswürdigkeit der Frauen an, um die sich der männliche Kopf unentwegt „wie ein schwerfälliger Planet dreht“, vor allem: weil sie außergewöhnliche Leserinnen seien. Selbstredend erlebte der Ich-Erzähler sein erstes Mal mit einer Literaturstudentin, in einer winzigen Wohnung. Es roch darin so stark nach Fleisch- und Gemüse-Ragout, dass sich diese olfaktorische Sensation im Gedächtnis stets in den Vordergrund drängt. Stärker als die Tatsache, dass sich jene Irina im Dienste ihrer Karriere für den Geheimdienst Securitate anwerben ließ.

Geschichten wie „Nabokov in Brasov“ oder „Maiglöckchen“, eine Hommage an die Mutter, kreisen mit der Salopperie eines Salinger um einen autobiografischen Kern. Im Lauf der Jahre hat er perlmuttartige Geschichten angelegt. Und doch umweht des Autors Gedanken an Irina, Petrutza oder die träumerische D. oft ein Hauch von bitterer Wehmut und Versäumnis. Oft klagt er sich nachträglich an, dieses und jenes zartbesaitete Mädchen vor den Kopf gestoßen und unglücklich gemacht zu haben. In „Mit den Ohren auf dem Rücken“ etwa gab er, von einem Ferienlager für junge Schriftsteller sexuell überreizt zurückgekehrt, der schüchternen Literaturstudentin Rodica den Laufpass. 22 Jahre später denkt der Ich-Erzähler noch immer daran: „Ganz selten begegneten mir in der einen oder anderen Kulturzeitschrift ein von ihr stammender kleiner Artikel oder ein Gedicht. Ich las sie stets mit dem Gefühl, mit dem Macbeth seine blutbefleckten Hände betrachtet haben mag.“

Es geht Cartarescu weniger um einzelne Frauenporträts als um eine Hymne auf die Weiblichkeit an sich, auf ein feminines Denken und Fühlen, wie es auch in Männern schlummern kann. „Ein so zartes Thema wie die Weiblichkeit kann man gar nicht behandeln, ohne auch über Poesie und Träume zu sprechen“, erklärt er unter zustimmendem Nicken seiner Frau, der jungen Lyrikerin Ioana Nicolaie. Auf der Leipziger Buchmesse präsentierte sie mit „Der Norden“ (erschienen im Ludwigsburger POP Verlag) die erste deutsche Übersetzung eines ihrer Gedichtbände, die stark vom Sagenschatz Transsilvaniens geprägt sind.

Die internationalen Heldinnen von „Warum wir die Frauen lieben“ aus verschiedenen rumänischen Städten, Turin oder Berkeley bestehen aus Kombinationen und Transformationen der Wirklichkeit. Sie haben einen Prozess durchlaufen, den Sigmund Freud Traumarbeit nannte. Im Vergleich zu seiner großen Romantrilogie „Orbitor“, auf Deutsch „Die Wissenden“, hat Mircea Cartarescu einen erstaunlichen Stilwechsel vollzogen – so schnell und leicht, wie seine symbolträchtigen Lieblingsinsekten, die Schmetterlinge, ihre Flügel schlagen.

Wie fand er zu diesem völlig anderen Erzählton? „Ich habe jeweils eine andere Kunstauffassung beherzigt: Für den dänischen Regisseur Lars von Trier soll Kunst wie ein winziger Stein im Schuh sein. Matisse hingegen forderte eine Kunst wie ein Sofa, auf dem man sich ausruhen kann. ‚Orbitor‘ folgt der ersten Auffassung. Die Schwierigkeiten, die der Text bereitet, sind kreativer Natur. Die Lektüre von ‚Warum wir die Frauen lieben‘ dagegen soll so angenehm und entspannend sein, wie auf einem Sofa zu liegen.“ Eine Einladung, der man nicht widerstehen kann.

Mircea Cartarescu: Warum wir die Frauen lieben.

Geschichten. Aus dem Rumänischen von

Ernest Wichner.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2008. 176 Seiten, 17,80 €.

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