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André Glucksmann

© - Foto: dpa

Literatur: Wasser und Champagner

Der Philosoph und Essayist André Glucksmann wird siebzig. Hans Christoph Buch gratuliert.

Als ich André Glucksmann kennen lernte, hatte er schon einen langen Weg hinter sich, der für viele Linksradikale gerade erst begann: Die frustrierende Erkenntnis, dass der Kommunismus russischer wie chinesischer, albanischer wie kubanischer Prägung auf der Entmündigung des Individuums und der Vergötzung des Staates beruhte – totalitär war das richtige Wort dafür. Damals, Ende der 70er Jahre, war Glucksmann für rechtgläubige Linke eine Unperson, weil er die westdeutsche Friedensbewegung kritisiert und sich mit osteuropäischen Dissidenten solidarisiert hatte, die als reaktionär oder blauäugig galten. „Mr. Gorbatchov, tear down this wall!“ Viele Jahre bevor Ronald Reagan diese historischen Worte sprach, hatte André Glucksmann vor TV-Kameras am Brandenburger Tor erklärt, nicht die einseitige Abrüstung des Westens, sondern die Öffnung der Berliner Mauer sei der beste Weg zum Frieden.

Glucksmann blieb sich selbst treu, als er illegal nach Tschetschenien einreiste und statt der vereinbarten zwei sechs Wochen dort blieb, von Freiheitskämpfern aus einer konspirativen Wohnung zur nächsten weitergereicht. Wer einen detaillierten Bericht seines Aufenthalts erwartete, wurde enttäuscht: Stattdessen schrieb Glucksmann ein philosophisches Traktat über Russlands menschenverachtende Staatsraison, die Zarismus und Stalinismus überdauert hat.

Auch die Geschichte seiner von Deportation bedrohten Kindheit unter dem Vichy-Regime erzählt er nicht als epische Chronik, sondern als philosophischen Erkenntnisprozess, der 1945 mit einem Wutausbruch des kleinen André bei einem Sommerfest im Hause Rothschild begann. Trotz seiner Kritik an „Meisterdenkern“ wie Hegel und Heidegger liebt Glucksmann die deutsche Kultur, einschließlich Wiener Schnitzel, und hinter der jakobinischen Fassade verbirgt sich ein sanfter und liebenswürdiger Mensch, der seinen Gästen Champagner serviert, obwohl er selbst nur Wasser trinkt.

Der Autor lebt als Publizist in Berlin. Zuletzt erschien „Black Box Afrika. Ein Kontinent driftet ab“ (Zu Klampen)

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