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Lyrik: Brandwunden

Hendrik Rosts poetische Artistik des Alltäglichen.

Hendrik Rost ist in der Lyrikszene längst eine feste Größe, und mit „Der Pilot in der Libelle“ schließt der 1969 Geborene an die vor vier Jahren bei Wallstein erschienenen Gedichte des Bandes „Im Atemweg des Passagiers“ an. Seine Verse wirken schlicht und unaufdringlich, was keineswegs heißt, dass ihnen Kunst und Raffinesse fehlten, sondern nur, dass sie weder Pomp noch Getöse brauchen, um beim Leser anzukommen: „Die anderen sind im Kino / ist ein Satz, in dem geweint wird / oder nicht“. Rost ist ein Solitär ohne den Geniedünkel des selbsternannten Solitärs; im Gegensatz zu anderen Vertretern seiner Generation reicht der poetische Ausdruck weit genug, um ohne den Rückhalt von Sammelbewegungen wie „Leipzig“, „Hildesheim“ oder „Berlin“ auszukommen.

Solide ist ein gutes Wort für seine unaufgeregten Bilder und Szenen – doch so weit sie von der nur schönen Metapher entfernt sind, nehmen sie das Verstörende, Ungeglättete, den Rest, der nicht aufgeht, in ihre leise Dialektik auf: „Die Brandschutzvorschriften / auf dem Pressspanschrank / in diesem Hotel sind nicht gerade / ein Gedicht, aber sie sind / irgendwie tröstlich mit der Aussicht / auf eine Katastrophe, der, / tritt sie ein oder nicht, / ganz einfach zu entkommen / sein wird. Ich öffne die Tür, / gehe nach unten, / frühstücke, fahre nach Hause / und stelle das Glimmen / zu den Brandwunden / und anderen Souvenirs früherer / Reisen ins Regal.“ (Lektüre)

In einem Verlag, der Autoren wie Nicolas Born oder Hermann Peter Piwitt die Treue hält, ist Rost allemal am rechten Ort, denn mit seinen Gedichten steht er für die Bewahrung und Verfeinerung eines realiensatten Gestus der älteren Generation: „Die Mülltonne auf rissigem Pflaster / im Hof, // die nach oben offene Mülltonne / auf Rädern, // fast ein Anblick, den ich mögen könnte, / wäre da nicht // der Müll.“ (Zeitgeist)

Hendrik Rost kennt die virtuelle Welt, aber er liebt sie so wenig wie er sie für seine Gedichte braucht („John Ashbery hat ein Gedicht auf myspace. / Es endet so: ‚Du bist nicht einmal hier.’“) Stattdessen gibt es immer wieder ein Moment der Verblüffung, das, einem William Carlos Williams oder Rolf Dieter Brinkmann („Die Piloten“) abgeschaut, aus alltäglichen Verzückungen entspringt: „Die Frau mit hennafarbenem Haar / und einer Torte in der Hand, / schlingernd bei Rot quert sie // auf dem Klapprad die Kreuzung, / Autos halten, keiner hupt. Viel Glück! / Alles hängt ab von Artistik.“ (Vademecum)

Wie da einer mit Formbewusstsein und Pointensinn auf die Straße geht, sich umschaut, hinhört und Schlüsse zieht, die Bild und Gedanke neu zusammenführen, das muss man einfach sympathisch finden: „Überleg, was du liebst, dichter / kommst du nicht ran“, heißt es in dem Gedicht „Evolution“.

Hendrik Rost: Der Pilot in der Libelle. Gedichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2010. 111 Seiten, 18 €.

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