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Meinecke

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Meinecke-Roman "Jungfrau": Keusch, aber sexy

Offen sein für die Qual der echten Liebe: Thomas Meineckes neuer Roman "Jungfrau".

Konsequenter geht’s nicht. Wer schon vom Fachbereich Theaterwissenschaften in den Fachbereich katholische Theologie wechselt, so wie der junge Student mit dem bezeichnenden Namen Lothar Lothar in Thomas Meineckes jüngstem Roman „Jungfrau“, der muss eben auch gleich ein Keuschheitsgelübde ablegen. Also wird für ihn aus der Freundin erst „die Ex-Freundin“ und dann „die beste Freundin“, und also muss schon bald auch die neue Geliebte erregt und halbwegs erschüttert konstatieren: „Als ich deine Hand auf der karierten Tischdecke des thailändischen Restaurants in meiner Hand hielt, war das bereits Sex.“

Es geht eben auch ohne Sex, ohne handfesten gewissermaßen, gerade in einem Roman des 1955 geborenen Musikers und Schriftstellers Thomas Meinecke. Der beste Sex in „Jungfrau“ ist der Sex, der mit Fleischeslust nichts zu tun hat, der also aus Anbetung, Anziehung, Begehren, intensivem, aber, bitteschön, nie eingelöstem Verlangen besteht. So wie zum Beispiel bei dem Helden aus Joséphin Péladans Roman „Der Androgyn“ aus dem Jahr 1891, den zwei andere Figuren von Meinecke lesen. Bei Péladan verliebt sich der androgyne Jüngling Samas in das Fräulein von Senanques und erkennt irgendwann beim Anblick ihres nackten Leibes: „Eine Frau sehen, die sich so zeigt, wie sie sich hingeben würde, ist schon besitzen.“ Oder: „Alles für die Augen, nichts für die Lippen.“

Im Fall von Thomas Meineckes neuem Roman könnte man sagen: Alles für die Wissbegierde, nichts für die Sinne. Wie schon in Vorgängerromanen wie etwa „Tomboy“ oder „Musik“ imponiert Meinecke auch in „Jungfrau“ in schönster popliterarischer Sammelmanier mit einer beeindruckend großen Text- und Materialfülle, die er auf viele, maximal eine Seite zählende Absätze verteilt. Er schreibt ungebetene Biografien und porträtiert vergessene Figuren der Film-, Literatur- Pop- und dieses Mal verstärkt der katholischen Kirchengeschichte: die dominikanische Schauspielerin Maria Montez oder den für Andy Warhol oder John Waters so wichtigen Undergroundregisseur Jack Smith, den französischen Schriftsteller Paul Claudel oder die deutsche Jazzmusikerin Jutta Hipp, den Theologen Hans Urs von Balthasar und die Ärztin und Mystikerin Adrienne von Speyr.

Thema und Leitmotiv von „Jungfrau“, wie das seiner Vorgänger: das von vielen Geheimnissen umwitterte Verhältnis der Geschlechter, der „gender trouble“, wie ihn die amerikanische Feministin und Kulturwissenschaftlerin Judith Butler als Begriff geprägt hat. Dieser wird hier aber bevorzugt unter den Überbegriffen „Entsagung“ und „Versagung“ und nicht zuletzt unter Einbeziehung theologischer Diskurse in der postmodernen Philosophie von Agamben bis Zizek verhandelt. So wie sich eben der keusche Lothar Lothar der ihn bedrängenden Mary Lou erwehrt. Oder so wie es Meinecke bei Hans Urs von Balthasar gefunden hat: „Entsagung ist eher noch ein Ja zum Nein der Welt, in dem Sinn, dass wir restlos offenstehn für das Brennende, Trennende, Quälende und Kreuzigende der echten bejahenden Liebe.“ Oder bei Adrienne von Speyr: „Die Jungfrau erscheint hier als die Potenz alles Geschlechtlichen.“

Nebenher stellen sich Lothar, Jeannine, Mary Lou oder Gustave zahllose weitere Fragen: etwa ob Gott eher weiblich ist, was für eine Geschlecht Engel haben oder ob im Versagen nicht doch der größte Lustgewinn zu erzielen ist. Und nebenbei verbindet Meinecke Maria Montez mit Hilde Domin, beschreibt er Alltag und Kaminabende von unser aller Benedikt XVI. im Vatikan. Oder stellt Leselisten seiner Protagonisten auf, in denen sich auch mal ein Roman von Peter Handke wiederfindet, „In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus“ von 1997, einfach so, warum auch immer.

Dass „Jungfrau“ mehr von einem narrativen Lufthauch durchzogen ist als von einem lebens- und handlungsprallen Erzählstrom, lässt sich leicht denken. Letzteres ist ohnehin nicht Meineckes Sache: Der Text schmeißt hier die Party. Nur wie sich das mit Meineckes „Im-Körper-Sein“ so verhält, wie viele weibliche Anteile in ihm so stecken, das würde man eines Tages doch gern mal erfahren.

Thomas Meinecke: Jungfrau. Suhrkamp, Frankfurt/Main. 347 S., 19,80 €. Meinecke liest an diesem Freitag, 20 Uhr, im Literaturhaus, Fasanenstraße, und am Sa, 20 Uhr 30, in Mitte in der Buchhandlung pro qm, Almstadtstraße.

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