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Nationalsozialismus: Ergänzend zum Mann wirken

Nur auf den ersten Blick war der NS-Staat ein Männerregime: Ein Sammelband über Frauen im Nationalsozialismus.

Es war Robert Kempner, der amerikanische Chefankläger im Nürnberger Prozess, der mit seiner Frau Ruth 1944 einen Bericht für die US-Regierung über „Frauen in Nazi-Deutschland“ schrieb und vor ihrem „gefährlichen Fanatismus“ warnte. Davon war bei Kriegsende im besetzten Deutschland fast nichts mehr zu spüren. Auf der Nürnberger Anklagebank saß nur eine einzige Frau, eine KZ-Ärztin aus Ravensbrück, und unter den in der US-Zone inhaftierten NS-Belasteten befanden sich nur drei Prozent Frauen. Die einstige Gaufrauenschaftsleiterin in Hessen-Nassau, Erna Westernacher, erklärte in ihrem Lebenslauf für die Spruchkammer: „Die Frauenarbeit stand außerhalb der politischen Ereignisse, und ich hätte auch nie irgendwelchen Einfluss auf diese ausüben können.“

Wie sie versuchten sich die meisten ehemaligen Funktionärinnen als unpolitisch darzustellen. Offenbar mit Erfolg, wenn Anette Michel in einem Sammelband über „Volksgenossinnen“ der Nazizeit feststellt, dieses Selbstbild sei „von der Forschung bis in die achtziger Jahre unreflektiert übernommen worden“. Das Buch und ihr Beitrag dazu wollen mit dieser Legende aufräumen.

Auf den ersten Blick war der NS-Staat tatsächlich ein Männerregime. Schon in ihrer Frühzeit 1921 hatte die NSDAP beschlossen: „Eine Frau kann in die Führung der Partei und in den leitenden Ausschuss nie aufgenommen werden.“ Und es war sogar eine Frau, die 1924 ausdrücklich „frauenfreie Wahllisten“ forderte. Adolf Hitler erklärte es auf dem Parteitag 1926 allenfalls zur „Mission“ der Frauen, dass sie „in der Zeit der größten Not den Männern zur Seite treten und ergänzend zum Mann wirken und daran mithelfen, dass das große Werk gelingt“. Das „große Werk“ war die nationalsozialistische Volksgemeinschaft, in der die Frau nicht als gleichberechtigte Staatsbürgerin, sondern als Objekt der politischen Führung funktionieren sollte. Als Wählerinnen waren Frauen natürlich willkommen, und es wundert nicht, dass NSDAP und NS-Frauenschaft in ihrer Wahlwerbung 1932 versprachen, dass Frauen nach der „Machtübernahme“ ihre Rechte nicht verlieren würden. Die wurden von der Partei freilich auf eigene Weise interpretiert: „Staatsbürgerin des kommenden Dritten Reichs ist daher jede deutsche Frau, die ihre ganze Lebenskraft als Ehefrau oder Mutter oder als berufstätige Volksgenossin für Volk und Vaterland einsetzt.“ Seit 1931 war die NSDAP sogar bereit, weibliche Mitglieder aufzunehmen, ließ sich jedoch in Partei und Parlament weiterhin nicht von Frauen vertreten. Allenfalls Charlotte Rühlemann brachte es als Funktionärin der NS-Frauenschaft zur „rechten Hand“ des Gauleiters Mutschmann in Sachsen.

Der politische Ort, den die Partei den Frauen zuwies, waren die Massenorganisationen der NS-Frauenschaft (1,7 Millionen Mitglieder im Jahr 1939), der Bund deutscher Mädel und das Deutsche Frauenwerk, ein Dachverband der „gleichgeschalteten“ nationalistischen und konservativen Frauenvereine der Weimarer Zeit mit vier Millionen Mitgliedern. Hier konnten Frauen wie Charlotte Rühlemann durchaus in leitende Positionen aufsteigen und die Politik der Volksgemeinschaft mitgestalten. Sibylle Steinbacher räumt denn auch mit der Vorstellung auf, der Nationalsozialismus habe die Frauen an den heimischen Herd zurückgedrängt: „Sie wurden nach 1933 keineswegs in Scharen aus ihren Arbeitsverhältnissen entlassen, damit sie fortan nur noch einer häuslichen Tätigkeit nachgingen. Weibliche Erwerbstätigkeit war im Dritten Reich vielmehr gang und gäbe.“ Tatsächlich nahm die Zahl berufstätiger Frauen sogar zu, auch wenn ihnen leitende Funktionen im öffentlichen Dienst versagt blieben. Der 1933 verfügte Numerus Clausus an Universitäten, der den Anteil weiblicher Studenten auf zehn Prozent begrenzte, wurde 1935 wieder aufgehoben. Selbst Juristinnen, die schon in der Weimarer Republik einen schweren Stand hatten, weil man durch sie den „allerheiligsten Grundsatz der Männlichkeit des Staates“ („Deutsche Juristenzeitung“) verletzt sah, konnten als „Rechtswahrerinnen“ tätig bleiben, nachdem Hitler 1936 Frauen ausdrücklich vom Richter- und Anwaltsberuf ausgeschlossen hatte. Die Frau sei, schrieb die Rechtsreferentin der Reichsfrauenführung in einer Denkschrift, für alle Aufgaben willkommen, „wo sie sie ihrem eigenen Wesen gemäß erfüllen kann“: Etwa im Familienrecht oder als Rechtsreferentin in Frauenorganisationen, in Schlichtungsstellen sowie als Führerin für den weiblichen Reichsarbeitsdienst.

Vollends änderte sich die Lage, als bei Kriegsbeginn die Männer an die Front gerufen und statt ihrer Frauen an der „Heimatfront“ benötigt wurden. Nun wurde es nicht nur möglich, dass wieder Frauen als Richterinnen und Regierungsrätinnen im Justizdienst tätig wurden, sondern in allen Sphären der Volksgemeinschaft schwand die Trennung in weibliche und männliche Sphären. 500 000 Frauen dienten schließlich als Wehrmachtshelferinnen, 50 000 Maiden des Reichsarbeitsdienstes als Flakhelferinnen, 400 000 waren im Kriegseinsatz beim Roten Kreuz. Hunderttausende arbeiteten in der Rüstungsproduktion, und auch im Luftschutz und als weiblicher Blockwart standen Frauen „ihren Mann“. Hitler soll sogar in den letzten Kriegsmonaten die Bildung eines Frauenbataillons geplant haben, obwohl die NS-Propaganda stets gegen „bolschewistische Flintenweiber“ gehetzt hatte und Hitler selbst zehn Jahre früher gesagt hatte, er würde sich schämen, Frauen in den Kampf zu schicken. Am Ende wurden auch sie zu Kombattantinnen.

Einen Seitenblick wirft der Sammelband auf einige prominente Frauen des „Dritten Reichs“ wie die Propagandafotografin Liselotte Purper, die Schriftstellerin und einzige PK-Kommandantin Maria de Smeth und die Sängerin Zarah Leander, die hier „keinesfalls als machtloses Objekt in den Händen des NS-Regimes“ erscheinen. Auch das passt ins Bild eines Männerregimes, in dem auch angeblich unpolitische Frauen politische Schuld auf sich laden konnten.

Sybille Steinbacher (Hg.): Volksgenossinnen. Frauen in der NS- Volksgemeinschaft, Wallstein Verlag, Göttingen 2007, 240 Seiten, 20 Euro.

Hannes Schwenger

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