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Paul Auster

© promo

Paul Auster: Blank in Brooklyn

Der alte Mann und die Fantasie: Paul Auster begibt sich mit "Reisen im Skriptorium" auf den Grund seiner Schreibarbeit.

Man hielt es ja eigentlich kaum für möglich: dass auch ein Schriftsteller wie Paul Auster für Überraschungen gut sein kann. So wie im vergangenen Jahr, als er mit „Brooklyn Revue“ einen geradezu unausterischen Roman vorlegte, einen realistischen, konventionellen, brav chronologisch erzählten Roman über einen gealterten Versicherungsvertreter, der nach Brooklyn kommt, „um hier auf den Tod zu warten“. Dieser Roman hat etwas von einer Revue, von einem bunten Nummernprogramm mit unterschiedlichsten New Yorker Charakteren, und er ist atmosphärisch gleichzeitig heiter und locker, wie er melancholisch grundiert ist. Nicht zuletzt, weil er am frühen Morgen eines strahlendschönen Tages im September endet, dem 11. September 2001.

Natürlich war der Roman für Paul Auster, das Ende beweist es, nicht nur eine Fingerübung, eine Art Durchschnaufen, ein Gegenmodell zu seinen gewohnt gespiegelten, gedoppelten und labyrinthischen Buch-in-Buch-Büchern, die von Mal zu Mal trickreicher, aber auch immer nichtssagender und manierierter wurden, wie zum Beispiel die „Nacht der Orakels“. „Brooklyn Revue“ sollte gleichfalls formal demonstrieren, dass alles Nach-vorne-und-zuende-Erzählen im Angesicht des Schreckens nicht viel weiterhilft, vielleicht seit dem 11.9. gar nicht mehr möglich ist. Insofern hätte man von Auster jetzt erwarten können, dass er, sich seiner selbst noch gewisser, zum alten Programm zurückkehrt. Geschichten gab es ja selbst in seinen Büchern genug, nur eben nach dem komplexen Paul- Auster-Regelwerk. Doch ist „Reisen im Skriptorium“, sein neuester Roman, jetzt genau das Buch, das dem Innehalten gilt, eine überraschende, mit zeitlicher Verzögerung eingelegte Verschnaufpause. Von der ersten Zeile an befindet man sich mitten in einem Auster-typischen Universum, und das mehr denn je. Man weiß, dass etwas nicht stimmt, dass die Welt hier eine extrem artifizielle ist, kein vermeintlich wahres Leben abbildet. Ein alter Mann sitzt in einem Raum, nicht wissend, dass über ihm in der Zimmerdecke eine Kamera über jede seiner Bewegungen wacht und Bild um Bild schießt. Der alte Mann weiß auch sonst nicht viel: was er in diesem Raum macht, wie er hereingekommen ist, ob er den Raum verlassen kann, ja, wer er überhaupt ist. Zumindest die Frage nach seinem Namen wird ihm schnell beantwortet. Offensiv schaltet sich eine Erzählstimme ein und beschließt: „Wir wollen die Person in dem Raum künftig als Mr. Blank bezeichnen.“

Als das geklärt ist, bekommt Mr. Blank seinen ersten Besuch, eine Dame, die Anna Blume heißt, pflegt und umhegt ihn. Spätestens als ihn dann der Anruf eines gewissen James P. Flood erreicht, ahnt man, dass Paul Auster sich mit diesem Roman heftigst auf den Grund der eigenen Schreibarbeit begibt: mit Mr. Blank als Leerstelle, auf die er sein Schriftstellerselbst projiziert, und mit vielen Figuren aus früheren Auster-Romanen, mit den zwei genannten sowie Samuel Farr aus „Land der letzten Dinge“, mit Marco Fogg aus „Mond über Manhattan“, mit David Zimmer aus dem „Buch der Illusionen“ und einigen mehr.

Sie alle haben mit Mr. Blank ihr Hühnchen zu rupfen und treiben ihm die Schuldgefühle in den ausgemergelten Körper hinein. Hat er sie doch alle einst mit Aufträgen losgeschickt, gefährlichen Aufträgen zumal, und zwar meist, um nach verschwundenen Menschen und/oder Büchern zu suchen. Und so sie diese unversehrt erfüllt haben, konfrontieren sie ihren Auftraggeber jetzt mit Sätzen wie diesem: „Ich gehe durch die Welt wie ein Gespenst“, sagt James P. Flood, „und manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt noch existiere. Ob ich überhaupt jemals existiert habe.“

Gute Frage. Von einem Schriftsteller wie Paul Auster aber nur mit einem entschlossenen, überzeugten „Ja“ zu beantworten. Denn so künstlich seine Welt, so sehr diese an die eines Franz Kafka oder Samuel Beckett andockt, umso lebendiger wird sie für ihn selbst. Klar also auch, dass Mr. Blank sich nicht nur mit Austers Figuren herumschlagen muss. Er liest zudem noch das Romanmanuskript eines Autors namens John Trause (Anagramm für Auster, Figur aus dem Auster-Roman „Nacht des Orakels“) und bekommt seinerseits den Auftrag, die noch unfertige Geschichte Trauses weiterzuerzählen (die wiederum nicht von ungefähr an ein Buch erinnert, das Paul Auster vor einigen Jahren übersetzt hat: „Chronicle of the Guayaki Indians“ von Pierre Clastres). Willkommen im Skriptorium also, in Austers Welt, mit all ihren Um-, Ab- und Irrwegen. Dass es in dieser Welt schön zugehen kann, dass das Schreiben und Schriftstellerleben nicht nur ein Kampf in einem abgeschlossenen, karg ausgestatteten Raum ist, auch das erfährt Mr. Blank, als Anna Blume und eine weitere weiblicheFigur ihm entweder manuell Erleichterung verschaffen oder ihn zumindest ihren Busen berühren lassen.

Das Gefängnis hier, das Paradies dort – bei so viel Ambivalenz muss ein Schriftsteller und gerade Paul Auster, zumal nach dem 11.9., sich noch einmal seiner Arbeit vergewissern, selbst wenn so ein Vorhaben nicht wenig eitle Züge trägt. Mag aber Auster in diesen „Reisen im Skriptorium“ dann auch noch selbst zu einer Paul-Auster-Figur werden, was gleichfalls abzusehen ist (Blank liest am Ende in einem zweiten Manusskript, wie ein alter Mann in einem Raum sitzt...), und mag er in erster Linie seine treuesten, jedem noch so verzwackten Rätselspiel aufgeschlossenen Leser ansprechen – es ist einmal mehr ein Vergnügen zu verfolgen, mit was für einer einfachen, zweckmäßig-eleganten Sprache er sein Spiel in Szene setzt, wie es ihm gelingt, mit der Trause-Geschichte einen kräftigen Erzählsog zu entwickeln.

Und da allein der Name Mr. Blank auch eine Art Versprechen ist – frank, frei, unbefleckt –, kann man davon ausgehen, dass nach dieser Selbsttherapie, nach diesem Besteigen des eigenen Hochplateaus Austers Kräfte wieder da sind, Neues in Angriff zu nehmen, Überraschendes gar. Für Mr. Blank heißt es am Ende dieses Romans: Licht aus. Für den Schriftsteller Paul Auster: Spot an.

Paul Auster: Reisen im Skriptorium. Roman. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2007.

174 Seiten, 16,90 €.

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