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Politische Literatur: Amok im Kopf

Peter Langman analysiert Schulmassaker und sagt, wie sie zu verhindern sind.

„Wenn ich etwas sage, dann passiert es – das ist mein Glaube. Ich bin das Gesetz, und wer etwas dagegen hat, geht drauf“ Eric Harris

Columbine High School, Virginia Tech – Orte in den USA, die zu Chiffren wurden wie Erfurt, Emsdetten, Winnenden in Deutschland. Es sind Schauplätze der „school shooters“ und der Amokläufe. Nach jeder Tat beginnt hüben wie drüben die Suche nach den Ursachen. Meist werden auf der Hand liegende Erklärungsansätze gegeben, in all der Kurzatmigkeit besonders gefragt ist die Mediengewalt, „Killerspiele!“ das allfällige Stichwort. Das klingt mehr nach „Tatort“ als nach Tatmotiv. Der Amerikaner Peter Langman vertritt in seinem Buch „Amok im Kopf“ die These, dass all den Massenmorden eine psychopathologische Ursache zugrunde liegt, jedem Täter weist Langman eine Korrespondenz von persönlichkeitsbezogenen und Umweltfaktoren nach.

Bei mehr Menschen als nur bei den „school shooters“ kommen eine psychische Krankheit, eine zerbrochene soziale Lebenswelt und eine Tatwaffe zusammen. Nicht immer endet das im Amoklauf. Was im einzelnen Fall den letzten K(l)ick zum rauschhaften Mord an anderen Menschen gibt, das weiß auch Langman nicht. Er schaut sich jedoch jeden Weg bis zur wahnhaft gesteuerten Gewalt an, denn ein Amoklauf ist keine Spontanhandlung.

Zehn Fälle in den USA analysiert der Psychologe und Psychotherapeut, sehr detailliert und in einem Ton, der alles Reißerische vermeidet. Darunter sind Eric Harris, 18, und Dylan Klebold, 17, die am 20. April 1999 an der Columbine High School zwölf Schüler und einen Lehrer erschießen und danach Selbstmord begehen. Oder auch der 23-jährige Seung Hui Cho, der an der Virginia Tech 34 Studenten und Professoren erschießt und sich danach umbringt.

Um die psychologischen Hintergründe auszuleuchten, bedient sich Langman der Recherche. Er geht ins Umfeld, er wertet Tagebucheinträge und Webseiten aus. Seine Profile sind sorgfältig gezeichnete Biographien. Er will so tief wie möglich in die Psyche vordringen, denn dort sind sie begründet, die unfassbaren Taten extrem wütender junger Männer. Langmans Buch ist eine Abkehr von der Oberfläche der Phänomene, er diagnostiziert starke psychische Störungen und Krankheiten, psychopathische, psychotische und traumatische. Menschen wurden zu Tätern, lautet die zentrale Aussage, weil sie sich selbst und ihre soziale Umwelt nicht mehr ertragen konnten. Das zerstörte Innen suchte sein Ventil (seinen eigenartigen Frieden) in der Zerstörung des Außen.

Langman sagt, er habe das Buch nicht schreiben wollen. „Ich habe mich gegen diesen Gedanken gewehrt und gab mich dem Glauben hin, dass die Epidemie der Schulmassaker der späten 1990er Jahre vorüber sei. Es war eine naive Hoffnung.“ Nach zehn Fällen und mehr als 300 Seiten wird deutlich, dass es den Phänotypen nicht gibt. Bei allen Überschneidungen – die meisten Amokläufer kamen aus soliden Mittelschichtsfamilien – bedarf es individueller Betrachtung.

Langman bleibt bei der Analyse nicht stehen. Wenn ein Amoklauf am Ende einer Entwicklung steht, dann stehen an zahlreichen Stationen Zeichen, Warnzeichen für die Umwelt. Zehn Lektionen nennt er, wie man Schulmassaker verhindern kann. Das ist mutig, weil einer grauenvollen Tat das Unausweichliche genommen werden soll. Erklären als Verstehen als Verhindern. Langman sagt, „seit Columbine sind viele Anschläge auf Schulen vereitelt worden“. Das sei die gute Nachricht, die schlechte sei, „dass wir keineswegs von allen Jugendlichen erfahren, die drohen, gewalttätig zu werden“. Das ist Realismus.

– Peter Langman: Amok im Kopf. Warum Schüler töten. Mit

einem Vorwort von Klaus Hurrelmann. Beltz-Verlag, Weinheim und Basel 2009. 334 Seiten, 19,95 Euro.

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