zum Hauptinhalt

Politische Literatur: Antworten auf Onkel Rolf

"Das Buch gegen Nazis": 70 Argumente für einen neuen Umgang mit dem Rechtsextremismus.

Von Frank Jansen

Was ist ein Nazi? Die Frage mag albern klingen, schließlich gehören Rechtsextremisten zum Alltag. Doch so klar und einfach, wie der Begriff „Nazi“ klingt, ist die Sache nicht. Ein Nazi kann ein junger Neonationalsozialist mit Hitlerscheitel und Thor-Steinar-Pulli sein oder ein Anhänger der links gestylten „Autonomen Nationalisten“. Oder ein Skinhead, der von Glatze und Stiefeln nicht lassen kann. Oder ein NPD-Funktionär, der das „System“, wie er die Demokratie abfällig nennt, „überwinden“ will. Oder ein Burschenschaftler, der sich mit adretter Kleidung und akkurater Kurzhaarfrisur als Patriot ausgibt und für das „Selbstbestimmungsrecht aller Völker“ eintritt – was bei genauem Hinhören ähnlich klingt wie „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“. Oder ein freundlich lächelnder Hobbyforscher, der behauptet, er könne beweisen, dass es den Holocaust nie gab und die Nationalsozialisten zu Unrecht des Massenmordes an den Juden beschuldigt werden. Nazi ist nicht gleich Nazi.

Ein „Rechter“ muss aber nicht zwangsläufig ein „Nazi“ sein. Eine Gesamtschau der Szene ist also offenkundig nicht so leicht, wie es das Wort Nazi gemeinhin suggeriert.

Der Rechtsextremismus tritt in einer wirren Vielfalt auf, die nur schwer zu durchschauen ist. Die Szene agiert keinesfalls eindimensional, außerdem nimmt der Trend zur Tarnung zu. Das beginnt bei den vielen Zahlencodes und hört beim Klau von Dresscodes nicht auf, wie ihn vor allem der „schwarze Block“ präsentiert, der die linken Autonomen bis ins Detail imitiert. Um die Bedrohung der Demokratie durch das Spektrum der Ultrarechten in allen Schattierungen angemessen werten zu können, ist Aufklärung über aktuelle Trends und Taktiken nötig. Der Verfassungsschutz liefert Broschüren, in denen die Erscheinungsformen der Szene erläutert werden. Außerdem gibt der Nachrichtendienst Jahresberichte heraus, die allerdings nur ein eher kleines, fachlich versiertes Publikum erreichen. Die Behördenliteratur wird ergänzt durch zahllose Publikationen linker und anderer Autoren, die einzelne Aspekte des Rechtsextremismus analysieren. Eine Gesamtschau des Phänomens „Rechtsextremismus“ gibt es jedoch nur selten.

Die Wochenzeitung „Zeit“, die Bundeszentrale für politische Bildung und die Amadeu-Antonio-Stiftung haben nun ein lexikalisch anmutendes Werk veröffentlicht, das sich „Das Buch gegen Nazis“ nennt. Der Untertitel lautet, „Rechtsextremismus – Was man wissen muss und wie man sich wehren kann“. Der ganze Rechtsextremismus auf einen Schlag plus Gegenrezepte – das ist der Anspruch dieses Buches und die Herausgeber und Hauptautoren sind ihm gewachsen: Toralf Staud, Ex-Redakteur der „Zeit“, ist einer der führenden Köpfe der Online-Plattform „Netz gegen Nazis“ und Holger Kulick ist Redakteur der Webseite „mut-gegen-rechte-gewalt.de“, einem Projekt der Amadeu-Antonio-Stiftung. Beide sind Rechtsextremismus-Experten mit reichlich Erfahrung. Das Buch ist vor allem ein Produkt ihrer Online-Arbeit, bei der sie von vielen Usern mit Fragen konfrontiert werden.

Herausgekommen ist ein Nachschlag-Opus, das kaum eine Frage zum Thema auslässt. In 70 Kapiteln mit Titeln wie „Sollte die NPD verboten werden?“ oder „Warum hassen Rechtsextremisten Amerika?“ oder „Was tun gegen Nazis an der Uni?“ werden kompetente Antworten in einem angenehm unprofessoralen und mäßig moralisierenden Ton präsentiert. Ein Beispiel: Auf Frage 68 („Was tun, wenn Onkel Rolf an der Kaffeetafel rassistische Sprüche macht?“) empfehlen die Autoren so einfach wie effektiv, hartnäckig nachzuhaken und auf denkbare Konsequenzen der Ressentiments zu verweisen. Freundlich, ruhig, souverän.

Die mehr als 300 Seiten sind in der Summe eine pädagogische Anleitung für die dem Rechtsextremismus trotzende Zivilgesellschaft. In diesem Sinne ist „Das Buch“ gut zu lesen. Enttäuscht wird allenfalls sein, wer hochkomplexe Analysen sucht, die höheren Anforderungen politischer Wissenschaft genügen. Aber darum geht es nicht.

In seinem Vorwort schreibt Giovanni di Lorenzo, „Zeit“-Chefredakteur und Herausgeber des Tagesspiegels, „eine Gesellschaft, die Angst vor der Auseinandersetzung mit Neonazis hat, ist sich ihrer demokratischen Werte nicht sicher. Stürzen wir uns also mit Leidenschaft und guten Argumenten hinein!“ Das Buch ist da eine passende, prall gefüllte Munitionskiste.


Holger Kulick, Toralf Staud (Hg.): Das Buch gegen Nazis.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 304 Seiten,  12,95 Euro

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false