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Karl Schiller

© dpa

Politische Literatur: Der Steuerer

Wachstumspolitik statt Verteilungspolitik: Torben Lütjens Biografie des "Superministers" Karl Schiller.

Es wäre nicht unbedingt ein Kalauer, Karl Schiller eine schillernde Gestalt zu nennen. Der einstige Superminister für Wirtschaft und Finanzen im Kabinett Willy Brandts war als junger Wissenschaftler Mitglied der NSDAP und seit 1946 Sozialdemokrat. Nach seinem Abgang als Minister verließ er die SPD, um mit dem früheren CDU-Kanzler Ludwig Erhard für die soziale Marktwirtschaft zu werben; er selbst hatte während seiner Amtszeit die „Konzertierte Aktion“ ins Leben gerufen. Es war ausgerechnet Oskar Lafontaine, der ihn 1980 wieder in die SPD zurückholte. Der Boulevardpresse lieferte Schiller wiederholt Schlagzeilen, vor allem über seine dritte Ehe mit Etta Schiller.

Stoff genug also für eine spannende Biografie, die Torben Lütjen als Doktorarbeit beim Historischen Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht hat. Als politische Biografie setzt sie sich mit der Person, aber auch mit den wirtschaftswissenschaftlichen Ideen Schillers und seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik auseinander, die anfangs an John Maynard Keynes orientiert waren, um später im liberalen und neoliberalen Licht der Lehren Hayeks, Euckens und ihrer Schüler zu schillern. Das Generalthema seines ökonomischen und politischen Wegs hat er am Ende seines Lebens mit seinem Buch „Aufgeklärte Marktwirtschaft. Kollektive Vernunft in Politik und Wirtschaft“ selbst beschrieben.

Lütjen schildert ihn in seinen Anfängen als den Typus des „Sozialingenieurs“, der an die Machbarkeit und Planbarkeit einer regulierten Marktwirtschaft glaubte, wie sie sich in der frühen Phase des Nationalsozialismus ebenso abzeichnete wie im New Deal der USA. Seiner Dissertation über „Arbeitsbeschaffung und Finanzordnung“ folgte 1940 am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IWW) die Habilitationsschrift über „Marktregulierung und Marktordnung in der Weltagrarwirtschaft“. NS-Vokabular wird man in dieser Arbeit vergebens suchen, auch wenn Schiller zu diesem Zeitpunkt schon Mitglied der NSDAP war. „Ein ideologisch überzeugter Nationalsozialist“, urteilt sein Biograf, „war Schiller nicht, und das galt vermutlich auch für die meisten anderen Wissenschaftler am IWW, von denen einige eher der 1933 zerschlagenen SPD nahestanden. Bei Schiller selbst jedenfalls fand sich in Hunderten von erhaltenen Feldpostbriefen kein einziger Hinweis, der auf antisemitische oder rassistische Tendenzen hindeuten würde. Der am 1. Mai 1937 erfolgte Eintritt in die Partei dürfte daher vorwiegend aus opportunistischen Gründen geschehen sein. Der ersehnte Zugang zur Professur war zwar auch ohne Parteibuch möglich, aber eben doch erheblich erschwert.“ Einen ersten Ruf nach Rostock erhielt er noch als Soldat 1944, konnte ihn aber kriegsbedingt nicht mehr wahrnehmen.

Auch eine Rückkehr nach Kiel kam nicht mehr infrage, nachdem die Briten seinen Mentor Andreas Predöhl als Direktor des IWW abgesetzt hatten. Aber die neue Leitung fand sich bereit, Schiller als Redakteur an eine Hamburger Außenstelle, das „Weltwirtschaftliche Archiv“, zu entsenden, dessen Wiedererscheinen er durch Kontakte mit den Besatzungsbehörden und der deutschen Verwaltung 1949 ermöglichen konnte. Doch schon 1947 wurde er auf den Hamburger Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre berufen, und in der Hamburger Politik machte er sich durch ein Gutachten für die künftige wirtschaftliche Entwicklung der Stadt im Auftrag des Bürgermeisters Petersen (CDU) bemerkbar. „Dass Schiller“, merkt Lütjen dazu an, „sein erstes politisches Amt von einem Christdemokraten übertragen wurde, ist später mit hintergründiger Ironie kommentiert worden. Es schien symptomatisch für einen Sozialdemokraten, dem alles Sozialdemokratische abzugehen schien und dem der berühmte ,Stallgeruch‘ fehlte.“

Das traf zu, hinderte aber Petersens Nachfolger Brauer (SPD) nicht, Schiller als Wirtschaftssenator der Hansestadt zu berufen. In diesem Amt diente ihm ein junger Mann als persönlicher Referent, der seinen Weg noch öfter kreuzen und 1972 sogar seine Nachfolge als Superminister in Bonn antreten sollte: Helmut Schmidt. Schillers Hamburger Senatorenamt ging mit der Wahlniederlage der SPD 1953 verloren, aber im gleichen Jahr machte er mit dem Hauptreferat auf einer wirtschaftspolitischen Tagung der SPD von sich reden, mit dem schon bald programmatischen Kernsatz „Wettbewerb so weit wie möglich, Planung so weit wie nötig“. Für die SPD vor Godesberg war das ein kühner Gedanke, für Karl Schiller ein wissenschaftlich befestigtes Glaubensbekenntnis.

Damals muss er auch Willy Brandt aufgefallen sein, der ihn 1961 nach Berlin holte. „Über ein Jahrzehnt“, schreibt Lütjen, „wird Schiller sein Schicksal mit dem seines so ganz anders gearteten Lübecker Landsmannes verbinden.“ Das heißt: erst als Wirtschaftssenator in Berlin, dann als wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD und schließlich als Wirtschaftsminister der Großen Koalition, wo er mit Franz Josef Strauß als „Plisch und Plum“ reüssierte, zuletzt als Superminister der sozial-liberalen Koalition.

Obwohl sein Abgang 1972 im Zorn erfolgte – das ganze Kabinett hatte ihm die finanzpolitische Gefolgschaft versagt –, ist die Bilanz seiner Ministerjahre glänzend: Die Sanierung des Bundeshaushalts und das fulminante Wirtschaftswachstum jener Jahre geht ganz auf das Konto seiner keynesianischen Politik. Dass sie auch eine Kehrseite hatte, ist ihm später nicht verborgen geblieben, wie seine Schriften und Äußerungen vor seinem Tod 1994 verrieten. Die deutsche Wiedervereinigung kommentierte er mit seinem Buch „Der schwierige Weg in die Offene Gesellschaft.“ Dort steht ein Satz, der noch heute aktuell ist: Deutschland brauche mehr Wachstumspolitik und viel weniger Verteilungspolitik. Ein klassischer Satz von Schiller, von Karl Schiller.

— Torben Lütjen: Karl Schiller (1911–1994). „Superminister“ Willy Brandts. Dietz Verlag, Bonn 2007.

404 Seiten, 34 Euro.

Hannes Schwenger

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