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Politische Literatur: Verteidiger der Globalisierung

Wie soll die Antwort des Westens auf die Globalisierung aussehen? Jagdish Bhagwati macht konkrete Vorschläge vor allem für die Bildungspolitik.

Die Globalisierung hat es nicht leicht im Moment. Sie zu verteidigen erscheint inmitten einer globalen Finanz- und Wirtschaftskrise politisch inkorrekt. Und doch bleibt dem Leser nach der Lektüre dieses Buches gar keine andere Wahl. Denn es verleiht der Globalisierung eben das, was ihre Kritiker ihr absprechen: ein menschliches Antlitz. Und dieses beruht nach Jagdish Bhagwatis luzider Analyse nicht auf einer Ideologie, sondern auf nüchternen Zahlen. Der an der Columbia University in New York lehrende Wirtschaftswissenschaftler und Senior Fellow am einflussreichen Council on Foreign Relations in Washington weist nach, dass die Globalisierung die Lösung sozialer Probleme eher fördert als behindert.

So hat sich gezeigt, dass die Angewohnheit von Unternehmen, Männer besser zu bezahlen als gleichqualifizierte Frauen, nachlässt, wenn sie es mit harter internationaler Konkurrenz zu tun bekommen. Dabei nivelliert sich das Lohngefälle in handeltreibenden Industriezweigen schneller als in handelsfernen Bereichen. Als beispielsweise japanische multinationale Konzerne Ende der 80er Jahre in großer Zahl ins Ausland gingen, waren die Führungskräfte männlich. Aber ihre Frauen, die in New York, Paris, Rom oder London lebten, sahen plötzlich, dass Frauen im Westen auch im Geschäftsleben aufsteigen konnten. Das ließ die Japanerinnen bei ihrer Rückkehr zu einflussreichen Vertreterinnen des gesellschaftlichen Wandels werden: Sadako Ogata wurde UN-Hochkommissarin für Flüchtlinge, Makiko Tanaka Außenministerin. Viele Frauen gelangten ins Unterhaus und stiegen in Führungspositionen auf.

Globaler Handel ist nach Bhagwatis Kollege Arvind Panagariya der Schlüssel zu einem weiteren Phänomen, das in der Nachkriegszeit zu beobachten war: Die Wirtschaftswunder-Länder, die eine hohe durchschnittliche jährliche Wachstumsrate beim Pro-Kopf-Einkommen von rund drei Prozent erreichten, hatten zugleich beim Handel ein ähnliches Wachstum vorzuweisen; und die Wirtschaftsmiseren-Länder, die nur vernachlässigbare oder sogar negative Wachstumsraten erzielten, zeigten auch eine ähnlich miserable Handelsleistung.

Dabei hält Bhagwati den Glauben von Gewerkschaften und NGOs für einen Irrtum, die Anhebung der Standards in fernen Ländern auf das Niveau der reichen Staaten mäßige den Wettbewerb. Im Gegenteil: Nach Bhagwatis Prognose wird der bereits heute bestehende harte Konkurrenzkampf niemals beseitigt, selbst wenn die armen Länder ihre arbeitsrechtlichen Standards und ihre Umweltschutzbestimmungen den westlichen Verhältnissen angleichen würden.

Doch wie soll dann die Antwort des Westens auf die Globalisierung aussehen? Bhagwati macht konkrete Vorschläge vor allem für die Bildungspolitik: Da die Flüchtigkeit heute ein bestimmender Faktor der Lebensumstände ist, können die Gewerkschaften die Sicherheit für ihre ungelernten Arbeiter nicht mehr über bestimmte Tätigkeiten definieren. Solche Arbeitsplätze werden in zunehmendem Maß auslaufen und verschwinden. Folglich müssen die Gewerkschaften Sicherheit über die Arbeiter selbst definieren. Das bedeutet für Bhagwati: Die Gewerkschaften müssen ihre Mitglieder motivieren, die Mittel zu erwerben, die ihnen den Wechsel von einer Tätigkeit zur nächsten ermöglichen. Die Arbeiterbildungsarbeit muss eine Renaissance erleben. Die Arbeiter müssen davon überzeugt werden, am Samstag oder Sonntag an gewerkschaftlichen Weiterbildungskursen teilzunehmen, um eine Sprache, den Umgang mit Computern oder andere neue Qualifikationen zu erlernen. Denn dies wird ihre Chance erhöhen, nach dem Verlust eines Arbeitsplatzes eine neue Beschäftigung zu finden. Ähnliches empfiehlt Bhagwati für qualifizierte Arbeitskräfte. Hier sieht er die Berufsverbände in der Pflicht.

Bereits die Ausbildung – ob an einer Universität oder in Einrichtungen zur beruflichen Bildung – muss nach Bhagwati sicherstellen, dass das Verhältnis von spezialisierter und allgemein technischer Unterweisung zugunsten der Letzteren verschoben wird. Deshalb lehnt er es ab, dass angehende Ingenieure den größten Teil ihrer Ausbildungszeit mit dem Maschinenbau und den geringsten Zeitanteil mit allgemeiner Ingenieurwissenschaft verbringen. Schließlich steht der Westen heute vor dem Problem, dass er junge Menschen in Qualifikationen ausbilden muss, für die eine ständige Nachfrage nicht mehr gesichert ist. Daher plädiert Bhagwati dafür, sie mit einer guten allgemeinen Grundlage auszustatten, von der aus sie sich von obsoleten Qualifikationen lösen und auf eine neue Nachfrage umstellen können. Denn nur dann – möchte man ergänzen – werden auch sie zu Verteidigern der Globalisierung.

Jagdish Bhagwati: Verteidigung der Globalisierung. Pantheon Verlag, München 2008. 524 Seiten, 16,95 Euro.

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