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Politsche Literatur: Bitte informieren Sie Allah

Terrornetzwerk Pakistan: Tariq Ali und Ulrich Ladurner über den gefährlichen Nachbarn Afghanistans.

Es ist das Jahr der Entscheidung – wieder einmal. Ende 2001 sind die Amerikaner in Afghanistan einmarschiert und am vergangenen Freitag verkündete Präsident Barack Obama, wieder einmal, eine neue amerikanische Afghanistan-Strategie. Doch dieses Jahr gilt mit einer veränderten US-Regierung, der afghanischen Präsidentschaftswahl und einem bisher nie da gewesenen Terror in der Tat als wegweisend dafür, wie sich der Westen und die Nato weiter in dem Land engagieren.

Eines ist jetzt schon absehbar: Ohne den östlichen Nachbarn Afghanistans werden alle Versuche der Stabilisierung ins Nichts laufen. Pakistan wird deshalb auf der von Washington zusammengerufenen Afghanistan-Konferenz am morgigen Dienstag in Den Haag eine wichtige Rolle spielen. Der Westen braucht Islamabads Kooperation. Und während Pakistans Außenminister Obamas Vorschläge begrüßte und versprach, „eine aktive und konstruktive Rolle zu spielen, weil wir der Ansicht sind, dass unser Frieden und unsere Sicherheit an die Lage in Afghanistan geknüpft sind“, sprengte sich zeitgleich in einer Moschee in der Khyber-Region Pakistans ein Islamist in die Luft und tötete 37 Menschen.

Damit Afghanistan zur Ruhe kommen kann, braucht es Pakistan in einer annähernd stabilen Verfassung. Niemand weiß dies besser als die Amerikaner, deren Verhältnis zu dem Land so lang wie spannungsreich ist. Als die Rote Armee vor 30 Jahren in Kabul einmarschierte, herrschte in Islamabad General Zia Ul-Haq, ein stockkonservativer Muslim, der gegen Zulfikar Ali Bhutto, den Vater Benazir Bhuttos, geputscht hatte und diesen hinrichten ließ. Weder der fragwürdige Schauprozess noch das gar nicht so heimlich vorangetriebene pakistanische Atomwaffenprogramm änderten etwas daran, dass Ende der 70er Jahre „Zias Diktatur endgültig zum Dreh- und Angelpunkt der US-Strategie in dieser Region“ wurde, wie Tariq Ali schreibt. Was waren solche Vergehen des verbündeten Diktators schon gegen seine Unterstützung im Kampf gegen die Russen?

Was daraus folgte ist bekannt: Die Unterstützung der afghanischen Mudschaheddin gegen die Sowjets durch Gelder der CIA, das schwindende Interesse Washingtons nach 1989, der Bürgerkrieg in Afghanistan, der Aufstieg der Taliban mit Hilfe Pakistans, Afghanistan als Rückzugsort für die Terroristen der Al Qaida, der 11. September. Nach den Anschlägen 2001 vollzog Pakistan zwar auf amerikanischen Druck eine Wende und wurde zum Verbündeten im „Krieg gegen den Terror“. Gleichzeitig aber wurde das Land immer weiter zum Rückzugsgebiet für islamische Extremisten, deren Terror Afghanistan destabilisiert, längst auch auf Teile von Pakistan übergreift und wie im vergangenen November bis ins indische Bombay reicht.

Die Malaise hat nach Tariq Alis Analyse ihren Ausdruck in einem radikalen Islam, ihre Wurzeln aber liegen anderswo: in der zutiefst korrumpierten herrschenden Klasse des Landes, im Militär wie im kleinen Zirkel der zivilen Parteienherrscher. Die Armee hat Staat und Wirtschaft fest im Griff, in der Hälfte der 62-jährigen Staatsgeschichte lenkte ein Militärdiktator die Regierungsgeschäfte. Schon früh schätzten die Amerikaner diese berechenbaren Partner, die sich keinen unwägbaren demokratischen Entscheidungsprozessen unterwerfen mussten, als Verbündeten und Gegengewicht zum russlandfreundlichen Indien. Dabei waren bereits 1958, als Pakistans erster Militärdiktator an die Macht kam, auch warnende Stimmen zu hören, wie Ali aus Unterlagen des State Departments zitiert: „Die Aussicht einer längeren Unterdrückung der politischen Freiheit unter einer Militärherrschaft würde die Gefahr erhöhen, dass die Spannungen und die Unzufriedenheit in Ostpakistan derart zunehmen, dass sie die Einheit der beiden Landesteile gefährden könnten.“

Genau dies geschah 1971, als sich das damalige Ostpakistan nach einem kurzen aber heftigen Krieg, in den sich Indien einschaltete, von Westpakistan löste und zum heutigen Bangladesch wurde. An dieses Trauma denkt heute kaum einer mehr, der von einem drohenden Auseinanderbrechens Pakistans spricht; dabei beeinflusst gerade der Verlust eines ganzen Landesteiles das Denken und die Außenpolitik in Teilen der Armee noch heute: Hardliner, so Ali, sähen 1971 als indisches Komplott, für das man sich irgendwann in Kaschmir revanchieren werde, „vorausgesetzt, dass man bis dahin durch die Einbeziehung Afghanistans über die nötige strategische Tiefe verfüge“. Afghanistan als Joker im Streit mit Indien um Kaschmir – mit dieser Logik braucht man die islamistischen „Freiheitskämpfer“, auch in Afghanistan. Nur sind die Extremisten längst flügge geworden und wenden sich nun gegen frühere Herren.

Tariq Ali webt dieses komplexe Netz unterschiedlicher politischer Interessen meisterlich zu einem faszinierenden Porträt zusammen. Dem Autor, der aus Pakistan stammt, aber seit über 40 Jahren in Großbritannien lebt, ist die tiefe Zuneigung zu seinem Heimatland anzumerken. Ebenso wie die tiefe Abneigung, die er gegen die dortigen Machthaber hegt, mögen sie aus dem Militär kommen oder aus der Klasse der Großgrundbesitzer, deren klientelistische Parteienkonglomerate in zivilen Zeiten die Regierung unter sich aufteilen. Die Winkelzüge des Präsidenten Asif Ali Zardari und seines Konkurrenten Nawaz Sharif sowie die immer dramatischere Wirtschaftssituation des Landes scheinen ihm in seiner Skepsis recht zu geben. So lässt einen „Pakistan. Ein Staat zwischen Diktatur und Korruption“ reich informiert über Geschichte und Werdegang des Landes, aber eher ernüchtert was dessen nahe Zukunft betrifft zurück.

Ali tröstet sich mit den Intellektuellen und Dichtern Pakistans, dem „kollektiven Gewissen des Landes“, die sich „nicht zum Schweigen bringen lassen“. Tatsächlich haben die in den vergangenen zwei Jahren nicht nur den Rückzug des Militärherrschers Pervez Musharraf vorangetrieben, sondern gerade auch die Wiedereinsetzung des höchst streitbaren Obersten Richters Ifthikar Chaudhry mitbewirkt. Doch stellt diese gebildete Mittelschicht nicht die Mehrheit der Pakistaner. Was dagegen die große Masse der Menschen betrifft, sieht der „Zeit“-Reporter Ulrich Ladurner die Gefahr, dass Pakistans eigene sowie die internationale Politik deren religiöse Radikalisierung weiter vorantreiben werden. Sein Buch „Bitte informieren Sie Allah“ (ein Scherz der Pakistaner auf Kosten ihrer Fluglinie Pakistan International Airlines, PIA: „Please inform Allah“) gibt dem großen geschichtlichen Abriss Alis das Gesicht vieler unterschiedlicher Menschen und lässt es so auf respektvolle Art lebendig werden.

Ladurner hat sie getroffen auf seiner Suche nach den Wurzeln des Extremismus: Pakistaner wie den Rektor der Punjab University in Lahore, an dessen Universität religiös organisierte Studenten die Lehre islamisieren wollen, den freundlichen Madrassa-Studenten Zakaria, der in seiner Anwesenheit keinen Gesang dulden mag, oder die Anwälte, die gegen Musharraf demonstriert haben. So wird etwas greifbar und lebendig, was sonst in Schlagwörtern wie Talibanisierung recht abstrakt daherkommt. In „Bitte informieren Sie Allah“ glaubt man den Schweiß in der Hitze Islamabads riechen und den süßen Tee auf der Zunge schmecken zu können. Auch Ladurners Unbehagen, wenn er radikale Islamisten trifft, ist geradezu körperlich spürbar. Zwar lehnen weite Teile der Gesellschaft die Radikal-Religiösen ab, doch bedrohen sie aus seiner Sicht gleichwohl Pakistans Zukunft und die der Region.

Wenn Ladurner nach seiner Reise quer durch das Land mitten in den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan steht, ist er dennoch weit davon entfernt, abschließend zu urteilen. Hier, wo sich die Taliban und andere Extremisten ausbreiten, und die Grenze zu Afghanistan keine ist, lässt der Autor dieses klugen Buches wieder die eigene Hilflosigkeit spüren, die ihn bei mancher Begegnung beschlichen hat. In so einem Moment wünscht man denen, die jetzt neue Strategien für Afghanistan und Pakistan entwicklen, ähnliche Offenheit und tiefe Einblicke – es wäre ein Beginn, die Zukunft zu gestalten. Dem, der dies für unverbesserlich optimistisch hält, gibt Ali mit auf den Weg: Die Hoffnung bleibt bei denen, die „den Sieg schon in Zeiten der Niederlage sehen“.

Tariq Ali: Pakistan. Ein Staat zwischen Diktatur und Korruption. Diederichs Verlag, München 2008. 280 Seiten, 22 Euro.

Ulrich Ladurner: Bitte informieren Sie Allah. Terrornetzwerk Pakistan. Herbig Verlag, München 2008. 238 Seiten, 19,90 Euro. 

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