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Prenzlauer Berg: Jenseits des Glamours

Ricoh Gerbls erzählerisches Porträt der Prenzlauer-Berg-Bohème.

Sie heißen Resa, Conny, Herbert und Marie und haben irgendwie miteinander zu tun. Die Eine liebt den Anderen, die Zweite kommt zu Besuch, der Dritte macht sich Hoffnungen auf die Nummer Eins. Ricoh Gerbl schildert einen Beziehungsreigen, bei dem nie klar wird, in welchem Verhältnis die Protagonisten zueinander stehen: Bruder, Ex-Freund, aktueller Geliebter oder nur Nachbar. Doch darauf kommt es nicht an. Gerbl interessiert sich für das konfuse Innenleben der Figuren, betrachtet mit deren Augen gebannt den Nagel an der Wand oder träumt sich weg in aberwitzige Szenarien, wenn Conny sich vorstellt, mithilfe einer Sicherheitsnadel ein Loch ins Flugzeugfenster zu bohren.

Solche Absencen, verselbstständigte Vorstellungen, hat jeder schon erlebt. Bei Ricoh Gerbl dominieren die grotesken Fantasien den kompletten Band. Ihre Hauptdarsteller macht es nicht sympathischer, dass sie wie unter dem Mikroskop betrachtet werden. Was bei den Porträts der Fotokünstlerin fasziniert, die mit „Leben im Luxus“ ihr literarisches Debüt vorlegt, läuft bei ihren Romanhelden ins Leere. In ihren Fotografien sind es Menschen aus Fleisch und Blut, die zu grotesken Selbstdarstellungen verführt werden, etwa die Mutter, die zwischen den Beinen eines seitlich gestellten Esstisches steht. Auch hier wirkt die Umgebung animiert, schiebt sich eine surreale Wahrnehmung zwischen die Wirklichkeit. Bei Resa, Conny, Herbert und Marie wirkt dies nur wie Attitüde. Das mag auch an den schiefen Bildern für die verstörten Figuren liegen, etwa wenn Marie wie ein ungestilltes Jungtier ins Telefon hineinröhren will. Die Protagonisten befinden sich im permanenten Zustand unterdrückter Verzweiflung. Sie gehören offensichtlich zur ersten Generation der Prenzlauer-Berg-Bohème, die an sich erste Anzeichen des Älterwerdens entdeckt. „Werde ich langsam schrullig oder nur alt?“, fragt sich Resa. Beides, möchte man ihr antworten.

„Leben im Luxus“ hat hier nichts von Glamour. Für Herbert, Marie und Conny und Resa bedeutet es, seinen skurrilen Tagträumen nachhängen zu dürfen. Dabei mag eine vom Pullover gezupfte Fluse riesengroß werden. Für Außenstehende zu groß.

Ricoh Gerbl: Leben im Luxus. Erzählungen. Mitteldeutscher Verlag, Leipzig 2009. 144 Seiten, 12,90 €.

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