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© Jens-Ulrich Koch /ddp

Ralf Rothmanns Berlin-Roman: Seitensprünge zwischen Kreuzberg und Friedrichshagen

Selbstporträt des Künstlers als alternder Mann: Ralf Rothmanns Beziehungs- und Berlin-Roman „Feuer brennt nicht“.

Seit seinem Romandebüt „Stier“ hat Ralf Rothmann immer wieder großartige bundesrepublikanische Milieustudien quer durch die Jahrzehnte geschaffen. Dabei ist zu vermuten, dass er sich autobiografischer Versatzstücke bediente, um aus dem Kohlenstaub, der Alltagssprache, der adoleszenten Verwirrung und der all dem entspringenden Zartheit des Ruhrgebiets eine facettenreiche Künstlerbiografie herauszuarbeiten.

Schon im Anfangskapitel von „Stier“ müht sich ein Schriftsteller in einer Hinterhofwohnung in Berlin (Rothmanns Wohnsitz seit mehreren Jahrzehnten) an einem Buch – gegen den Lärm aus der Nachbarschaft. Der neue Roman ist also möglicherweise eine Fortschreibung dieser Situation in die Gegenwart hinein, ohne Ruhrgebiet.

So leicht und unkompliziert der Plot auch nachzuerzählen sein mag: „Feuer brennt nicht“ ist ein höchst vielschichtiges Buch. Die Geschichte geht so: Aufstrebender Schriftsteller, Wolf heißt er, lernt während eines Stipendiums im Sauerland die bezaubernde, weitaus jüngere Buchhändlerin Alina kennen, sie werden ein zunächst heimliches Paar. Als er zurück nach Berlin geht, folgt sie ihm, und sie bleiben zusammen bis ins Jetzt.

Eine Liebesgeschichte, natürlich, in Rückblenden und Zeitsprüngen erzählt, aber darüber hinaus eine Reflexion über die Liebe und das gemeinsame Leben, über eine Schriftsteller- und Künstlerexistenz, die äußerst genaue Betrachtung eines Landes im Umbruch, vor allem aber das Selbstporträt eines egomanischen Autors als alternder Mann.

Das Körperliche, das Sexuelle ist Wolfs grundlegende Triebfeder; alles andere lässt sich davon ableiten, so auch sein Verständnis von Partnerschaft und Literatur. Alles braucht für ihn ein Geheimnis, innere Leidenschaft und poetischen Zauber. Anders Alina: „Indem sie sich aber derart selbstgewiss einkapselte vor den Unwägbarkeiten und Möglichkeiten der Existenz und ihm sicher war, verloren ihre Konturen das Schillernde und ihr Blick seine Tiefe, jedenfalls für den Moment.“ Es finden sich etliche Passagen, in denen die Institutionalisierung, die Selbstverständlichkeit von Gefühlen einer belebten und inspirierten Existenz entgegengesetzt wird.

Leider führen solcherlei Widerspruchsausschürfungen oft in ein gefährliches Grenzgebiet zwischen Künstlerpathos und Kitsch. Wohin sich Rothmann allzu oft verläuft: „Dass Schreiben harte Arbeit ist – schon der Satz hat schließlich graue Schläfen.“ Zu viele solche Sätze mit grauen Schläfen gibt es in „Feuer brennt nicht“, zu viele Klischees vom kreativen Dasein. Die eingeschobenen philosophischen Betrachtungen wiederum sind von mitunter peinigender Naivität: „Liebe, ein so strahlender Stern – wie endlos grau und öde kann er sein, wenn man auf seiner Oberfläche herumstolpert.“

Auch die demonstrativ betonte Körperebene des Romans geht oft nicht gut. Wolf, der Seitensprünge und Bordellbesuche als selbstverständliche Varianten des sexuellen Alltags betrachtet, beginnt eines Tages ein Verhältnis mit Charlotte, einer alten Bekanntschaft. Als er Alina davon erzählt, toleriert sie das Verhältnis. Die Angst vor dem körperlichen Verfall und die beständige Suche nach der wahren Schönheit in der Welt treibt in „Feuer brennt nicht“ kuriose Blüten: Kaum zu zählen, wie oft der eigene Schwanz betrachtet, bewertet und bemessen wird. Da werden Cremes gegen die welkende Haut ausprobiert, und den Höhepunkt bildet schließlich eine Darmspiegelung, in der Wolf buchstäblich seine innere Schönheit kennen und bewundern lernt: „Die rosa Schleimhäute glänzen an den Kehlungen zartviolett, und mit den weise verzweigten, sich im Schatten verlierenden Adern und den hellgelben Schaumflocken hier und da, Resten jenes Drastikums, kommt ihm sein abgründiger Darm wie ein Tiefseegebilde vor, ein nie gesehenes Riff.“ Das geht dann vielleicht ein bisschen zu weit.

Doch, welch Segen, in diesem vielschichtigen Roman-Gebilde gibt es einen weiteren Protagonisten: die Stadt Berlin in ihren Wandlungen von den frühen achtziger Jahren bis heute. Von den Menschen im Westen und im Osten, die in ihrer entgegengesetzten Mentalität aufeinanderprallen, von den Veränderungen der Stadtteile, von der langsamen Annäherung und den Befremdlichkeiten erzählt Ralf Rothmann ungemein plastisch und atmosphärisch überzeugend, indem er Wolf und Alina aus Kreuzberg weg- und in den tiefsten Osten, nach Friedrichshagen, ziehen lässt, erstmals in eine gemeinsame Wohnung (was neue Enttäuschungen mit sich bringt).

Und dann findet dieses merkwürdige Werk eines versierten Autors mit Mut zur kompletten Selbstentblößung, dieser Roman mit unübersehbaren Schwächen und großen Stärken, zu einem furiosen Finale, nach dessen Lektüre man geradezu bewegt zurückbleibt. Es ist ein Schluss, der als abgeschlossene Kurzgeschichte auch in einem von Rothmanns fabelhaften Erzählungsbänden stehen könnte, und in dem mit einem Schlag deutlich wird, dass Rothmann nahezu unbemerkt, auf der Kehrseite der narzisstischen Schriftstellerposen seines Protagonisten, auf subtile Weise die Parallelgeschichte eines tragischen Daseins an dessen Seite geschrieben hat.

So zeigt sich doch, dass Rothmann die ästhetischen Maximen seines alter ego Wolf zu erfüllen in der Lage ist. Auch in seinem neuen Roman, der nicht sein bester, aber wohl sein ungeschütztester ist.

Ralf Rothmann: Feuer brennt nicht. Roman. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 2009, 308 Seiten, 19,80 €.

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