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Religionskritik: Sinnesfreuden im Islam nur für den Mann

Eine sexuelle Revolution des Islam ist überfällig, fordert Seyran Ates in ihrer neuen Streitschrift

Die Schweizer wollen Minarette verbieten, die Franzosen Burkas. Die Debatte um den Islam nimmt von Woche zu Woche an Schärfe zu. Auch in Deutschland. Hier gehen sich Islamkritiker und Kritiker der Islamkritiker verbal an die Gurgel. Die Attacken werden immer persönlicher und verletzender und es scheint mittlerweile vor allem darum zu gehen, wer die Deutungshoheit über die Feuilletons der Zeitungen hat.

Eine Islamkritikerin, die in den vergangenen Wochen oft genannt wurde, ist die Berliner Juristin und Frauenrechtlerin Seyran Ates. Sie hat kürzlich das Buch „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“ veröffentlicht, das sich mit dem Sexualleben von Muslimen beschäftigt. Ates will das Buch als Streitschrift verstanden wissen, und es lohnt sich hineinzuschauen – gerade angesichts der aktuellen Debatte, die ihren Anlass, den Islam und die Muslime, immer mehr aus dem Blick verliert. In ihrem Buch hat sie sich auf das Thema Sexualität und das Geschlechterverhältnis konzentriert, weil sie darin „die tiefste Kluft zwischen der muslimischen und der westlichen Welt“ sieht, schreibt Seyran Ates. In der muslimischen Welt sei der Umgang von Männern und Frauen nicht nur von Ungleichheit, sondern auch viel mehr als im Westen von Gewalt geprägt. „Mit Gewalt wird die weibliche Sexualität unterdrückt, mit Gewalt werden Frauen zwangsverheiratet, und mit Gewalt wird die Ehre der Männer geschützt, bis hin zum Ehrenmord.“ Dies sei der „größte Konflikt, den wir überwinden müssen, um Frieden zwischen Muslimen auf der einen Seite und Christen und Juden auf der anderen Seite zu erreichen“, glaubt Ates. Sie hat als Anwältin in Berlin jahre- lang muslimische Frauen gegen ihre oftmals gewalttätigen Ehemänner verteidigt und dafür mehrmals auch ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt. Sie weiß also, wovon sie spricht.

Anhand vieler Zitate aus dem Koran und den Hadithen, den Aussprüchen des Propheten Mohammed, führt Ates dem Leser die hässlichen Instrumente vor, die sich der Islam im siebten Jahrhundert erdacht hat, um den Männern die Hoheit über die Sexualität der Frauen zu garantieren. Ates führt aus, dass die Jungfräulichkeit der Frau im Islam geradezu etwas Heiliges ist und die ganze Ehre des Mannes davon abhängt. In der Ehe hat die Frau nach der islamischen Lehre dem Mann gefügig zu sein; und während dem Mann für das Paradies ewige Sinnesfreuden prophezeit werden, hat die Muslima nicht mal im irdischen Leben das Recht auf sexuelle Erfüllung, wie Ates ausführt. Auch im Alten Testament kann man lesen, dass gesteinigt werden muss, wer Ehebruch begeht. Wer als religiöser Fundamentalist seine Frau zum Sex zwingen will, kann sich auf die heiligen Schriften berufen, egal, ob er Jude, Muslim oder Christ ist. Der Unterschied besteht allerdings darin, und Ates weist zurecht immer wieder darauf hin, dass in der jüdischen und christlichen Welt drakonische Strafen aus der Mode gekommen sind, in Saudi-Arabien, in Iran und im Jemen nicht. Doch eigentlich liegt der Fokus von Seyran Ates‘ Betrachtung auf Deutschland. Und wer hält sich da noch an religiöse Gesetze, vor allem wenn sie die Sexualität betreffen? Das heutige Intimleben vieler Muslime sei vergleichbar mit dem der Deutschen in den 50er Jahren, konstatiert Ates und beruft sich auf viele Gespräche mit Muslimen in Deutschland und in aller Welt. Als die Kirchen noch mehr Einfluss auf die westlichen Gesellschaften hatten, habe die gleiche Prüderie geherrscht, es galten die gleichen Restriktionen für die Sexualität und den Alltag der Frauen und eine ähnliche Doppelmoral wie heute in muslimischen Familien. Ates erinnert daran, dass in Deutschland noch 1976 ein Ehemann den Arbeitsvertrag seiner Frau kündigen konnte, wenn das Familienleben seiner Meinung nach unter deren außerhäuslichen Arbeit litt. Es ist also nur folgerichtig, dass Ates’ fordert, die Muslime müssten den Einfluss des Islam auf ihr Leben ebenso zurückdrängen, wie es die 68er im Westen in Bezug auf die Kirchen gemacht haben.

Allerdings sind es weniger die Institutionen des Glaubens, die sich verändern, als vielmehr die einzelnen Gläubigen, die die religiösen Schriften auf ihr Leben anwenden. Und könnte es nicht sein, dass viele Muslime zumindest im Westen einfach so, ohne dem Islam den großen Kampf anzusagen, längst ihren eigenen Weg zwischen Selbstbestimmung und religiöser Bevormundung gefunden haben? Dass Frauen Kopftuch tragen und trotzdem selbstbewusste Akademikerinnen sind? Aber das reicht Ates nicht. „Der einzelne Muslim schafft vielleicht seine ganz persönliche Revolution, befreit sich von den ihn einengenden moralischen Zwängen und wird zum Individuum innerhalb der auf einem ausgeprägten Wir-Gefühl basierenden muslimischen Gemeinschaft“, schreibt sie. „Aber eine regelrechte Bewegung, deren erklärtes Ziel es ist, die muslimische Gesellschaftsordnung zu verändern, gibt es noch nicht.“ Geschichte lässt sich nicht eins zu eins wiederholen und Erfahrungen in einem Kulturkreis lassen sich auch nicht einfach auf einen anderen übertragen. Dass Frauenrechtlerinnen in islamischen Ländern aber zu anderen Auffassungen kommen können als die Alice Schwarzers im Westen, lässt Seyran Ates nicht gelten. „Einige sagen, es gebe wichtigere Probleme zu lösen, andere meinen, man solle es den Frauen selbst überlassen, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht.“ Wer Kopftuch trägt, ist für Ates aber per se eine Komplizin der Fundamentalisten. Ates plädiert letztlich für eine liberale Zwangsbeglückung der Muslime. Atatürk hat es in der Türkei vorgemacht und den Männern Turbane und den Frauen Kopftücher verboten. Manchmal geschehen Veränderungen aber auf leisen Wegen. Und gehen dann tiefer und halten länger vor.

– Seyran Ates:

Der Islam braucht

eine sexuelle

Revolution:

Eine Streitschrift.

Ullstein Verlag,

Berlin 2009.

219 Seiten, 19,90 Euro.

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