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© Ullstein Bild/Granger Collection

Roman: "Die Entdeckung des Lichts": Faraday: Schlingpflanzen im Kopf

Ralf Bönt schreibt in seinem neuen Roman über den englischen Physiker Michael Faraday. Er ist selbst promovierter Physiker, prahlt aber nicht mit seinem Wissen, sondern lässt den Leser charmant daran teilhaben.

„Die Entdeckung des Lichts“, der neue Roman von Ralf Bönt, erzählt von Michael Faraday, dem englischen Physiker und Chemiker, der 1791 geboren wurde und für einen schwerkranken Mann erstaunlich lange lebte. Am 25. August 1867 starb er fast 76-jährig. Der gebildete Laie bekommt leuchtende Augen, wenn sein Name fällt: „Faraday’scher Käfig“, ruft er stolz – dann verließen sie ihn. Es schadet also nichts, wenn ein kluger und versierter Autor sich dieses Mannes annimmt, noch dazu, wenn es sich um einen promovierten Physiker handelt. Dass missgünstige Geister ihm vorwerfen werden, er surfe auf der Kehlmann-Welle, sollte einen nicht weiter kümmern. Schließlich hat Daniel Kehlmann die Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts nicht gepachtet.

Michael Faraday war der Sohn eines Schmieds, die Karriere als Wissenschaftler war ihm nicht in die Wiege gelegt, wohl aber eine ausgeprägte Wissbegier, ein Sinn fürs Beobachten und Analogienbilden, fürs Tüfteln und Neubeginnen. Und er war bereit, aus jeder mickrigen Möglichkeit eine Chance zu machen: Als Laufbursche las er die Zeitungen, die er austragen musste, als Buchbinderlehrling die Bücher, die er band, als Laborgehilfe und Assistent des Chemikers Sir Humphry Davy machte er im Keller der Royal Society nebenher seine eigenen Experimente. In seiner Freizeit besuchte er Vorträge, aus heutiger Warte eine kunterbunte Mischung von Naturphilosophie, Esoterik, Chemie und Physik.

Bönt lässt den Leser an seinem Wissen teilhaben

Die Entdeckungen, für die Faraday heute berühmt ist, liegen im Bereich der Elektrotechnik. Beim Versuch, die Funktionsweise eines Elektromagneten umzukehren, also ein Magnetfeld Strom erzeugen zu lassen, entdeckte er die elektromagnetische Induktion. Er formulierte Gesetze über die chemischen Wirkungen des Stroms und konstruierte den ersten Dynamo. Und er war an der großen Entdeckung seiner Epoche beteiligt, dass sich das Licht nicht nach dem Teilchenmodell Newtons denken lässt. Das schreibt sich so hin. Aber wie viele Anläufe sind nötig, bis aus der Eingebung eine Versuchsanordnung wird und aus ihr ein gelungenes Experiment! Welches Material muss man nehmen, welche Stoffe, welche Temperatur?

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Ralf Bönt. -

© Susanne Schleyer/DuMont

Es macht den Charme des Romans aus, dass Bönt nicht mit seinem Wissen prahlt, sondern den Leser teilhaben lässt: an der ganz und gar nicht trivialen Tüftelarbeit, die den großen Erfindungen des 19. Jahrhunderts vorausging. So ist der Michael Faraday dieses Romans, also die Figur, die der Autor aus dem historischen Material nach den Gesetzen der Einbildungskraft formt, nicht in erster Linie der Chemieprofessor, der Direktor der Royal Institution und das berühmte Mitglied von insgesamt 92 wissenschaftlichen Gesellschaften und Akademien, sondern vor allem der Autodidakt, der sich aus den Grenzen seines Standes befreit.

Gerade noch glücklich, es endlich in den Keller der Royal Institution geschafft zu haben, und sei es nur als „oberster Flaschenspüler“, fällt seinem Gönner, dem großen Sir Davy, plötzlich ein, er könne den jungen Mann hervorragend als Ersatz für seinen kranken Diener brauchen. Eineinhalb Jahre begleitet Faraday das zänkische Ehepaar Davy per Kutsche durch Europa. Dass er dabei etwas sieht von der Welt, ändert nichts daran, dass er sich in seinen Keller zurücksehnt, zu all den chemischen Substanzen, die dort ohne Schutzvorkehrungen gelagert, zusammengegossen, erhitzt und verdampft werden.

Die romanhafte Umsetzung der These, Michael Faraday habe sich eine Quecksilbervergiftung zugezogen

Wie in Per Olov Enquists Roman „Blanche und Marie“, der von der fatalen Wirkung des Radiums erzählt, das Marie Curie schwer schädigte und ihre Assistentin Blanche Wittmann zum Krüppel machte, spielt auch in Ralf Bönts Roman ein chemisches Element die entscheidende Rolle: das Quecksilber. Wegen seiner enormen Reaktivität und seiner Fähigkeit, Strom zu leiten, war und ist es ein beliebtes Edelmetall, das übrigens auch in allen Energiesparlampen steckt, deren Entsorgung in Zukunft vermutlich ein größeres Problem werden dürfte als ihr kaltes Licht.

„Die Entdeckung des Lichts“ ist die romanhafte Umsetzung der These, Michael Faraday habe sich beim damals üblichen sorglosen Umgang mit Chemikalien eine Quecksilbervergiftung zugezogen. Wissenschaftlich vertreten wurde sie vom Berliner Chemiker Alfred Stock, der seine Diagnose allerdings nur posthum stellen konnte: anhand der Briefe, Labortagebücher und Aufzeichnungen Faradays. Erste Symptome gab es früh: den Wechsel von Wutanfällen und Euphorie, später folgten Schwindelanfälle, Wortfindungsstörungen, Erinnerungslücken und Gedächtnisverlust.

Schlingpflanzen wuchern in Faradays Kopf

Die zitierten Briefpassagen wirken überzeugend: Aus dem anschaulichen, sprachgewandten Stil wird mit der Zeit ein hilfloses Stammeln. Die Szenen, in denen Bönt beschreibt, wie Faraday, ohne zu wissen, wie ihm geschieht, die Zersetzung seines Geistes wahrnimmt, gehören zu den stärksten des Romans: Da wuchern Schlingpflanzen in seinem Kopf, die Konzentration lässt sich nur mit Mühe halten, und die Löcher, in denen das Wissen verschwindet, werden immer größer. Auch Faradays Ehefrau fügt Bönt voller Sympathie ins Bild: wie sie es klaglos hinnimmt, statt der ersehnten Kinder einen Mann zu haben, der im Lauf ihrer Ehe selbst wieder zum Kind wird.

Sprachlich schmiegt sich der Roman dem warmen Ton des 19. Jahrhunderts an, gedanklich aber macht er große Sprünge. Da geht es hin und her, quer durch die Zeiten, quer durch die Räume – mit lustvoller Quecksilbrigkeit. Mal hört man von den großen Seeschlachten, von Napoleon und Lord Nelson, mal von der Cholera, mal ist man in Paris, mal in Rom, in Hamburg oder gar in Franken, wo sich einfältige Deutsche gegen Blitzableiter wehren.

Auftritte alter Bekannter

Humboldt, Gauß, Ampère, Volta haben ihren Auftritt, Thompson, Edison, Maxwell, Hertz und am Ende auch Albert Einstein. Der Roman greift also weit über die Lebensspanne Michael Faradays hinaus. Denn der 1963 geborene Autor, der sich mit den Romanen „Icks“ und „Gold“ sowie dem Erzählungsband „Berliner Stille“ einen Namen gemacht hat, will mehr als nur von Faraday erzählen. Meistens geht das gut, nur manchmal kommen sich der Physiker und der Erzähler in die Quere. Die Stärke des Romans ist seine Anschaulichkeit, etwa wenn Faraday am Strand eines kleinen Badeorts das Zusammenspiel von Sand und Wellen beobachtet und sich dabei überlegt, ob sich nicht auch das Licht wie eine Welle verhalten könnte.

Ralf Bönt will das Versprechen seines Titels nicht nur poetisch, sondern auch faktisch einlösen. Die „Entdeckung des Lichts“ endet deshalb bei Albert Einstein und der Dualität von Welle und Teilchen. Sie aber lässt sich mit anschaulichen Mitteln nicht mehr darstellen, und so gerät der Roman am Ende auf Schlingerkurs. Gleichwohl ist „Die Entdeckung des Lichts“ ein aufregender und anregender Roman, der Kopf und Herz aufs Schönste zusammenbringt.


- Ralf Bönt: Die Entdeckung des Lichts. Roman. DuMont, Köln 2009. 352 Seiten, 19,95 €. – Der Autor stellt sein Buch heute, Dienstag, um 20 Uhr in der Akademie der Künste am Pariser Platz vor. Das Gespräch führt Andreas Isenschmid.

Meike Feßmann

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