zum Hauptinhalt

Roman: Nancy Hustons "Ein winziger Makel"

Das Leben lasse sich nur rückwärts verstehen, hat Sören Kierkegaard einmal gesagt. Die Familie auch, erwidert die kanadische Schriftstellerin Nancy Huston in ihrem neuen Roman.

Beim jüngsten Spross von gleich vier Generationen beginnt Nancy Huston ihre Erzählung; im Jahr 2004 in Kalifornien googelt sich der sechsjährige Sol mit Vorliebe nach Abu Ghraib, um sich anschließend, das Gesehene lebendig im Kopf, bei der Andacht unterm Gebetsbuch in Richtung Seligkeit zu rubbeln.

Diesen wollüstigen Hass auf alles Arabische lebt Vater Randall ihm vor, und als einem dieser Mann so richtig verleidet worden ist, springt Huston in den zweiten Teil ihres Romans, ins Jahr 1982, zum damals selbst sechsjährigen Randall, und begleitet ihn mit seiner hypernervösen Mutter Sadie nach Israel, wo er sich in ein arabisches Mädchen verliebt, mit aller Kraft seines Kleinjungenherzen und mit tragischem Ausgang.

In solchen Und-das-kam-so-Schlaufen hangelt sich Huston am Familiengeflecht entlang, von Sol zu Randall, von Randall zu dessen Mutter Sadie, von Sadie zu deren Mutter Erra. Immer wählt sie die Perspektive des sechsjährigen Kindes, was vor allem bei Sol nicht überzeugt: Zu offensichtlich ist die Kulturkritik, die Huston durch seinen Mund betreibt, etwa wenn sie ihn das Internet als Baum der Erkenntnis bezeichnen oder ihn sich das Paradies als Texas mit einem Gott in Cowboystiefeln denken lässt.

Hier ist sie am weitesten von ihrem Erzählanliegen entfernt, das sich zu decken scheint mit dem, was Psychologen die „transgenerationale Weitergabe eines Traumas“ nennen: Da erlebt ein Mensch eine seelische Erschütterung, er betoniert sie in sich ein, und doch, ganz unwillentlich, gibt er sie an Kinder und Kindeskinder weiter.

In „Ein winziger Makel“ macht die Kanadierin Nancy Huston, die in Frankreich lebt, das Lebensborn-Thema zu einem schweren Familienerbe. In so einem Lebensborn wohnte Sols Urgroßmutter Erra einst, bevor sie von Nazis, der eigenen ukrainischen Familie entrissen, in einer deutschen Familie untergebracht wurde.

Huston hat einen anständigen Roman geschrieben, der Plot und die Sprache sind sogar eine Idee zu anständig, zu brav. Der größte Reiz ihres Buchs besteht in der nichtchronologischen Struktur. Just wenn man beschlossen hat, den feindseligen Randall oder die angespannte Sadie nicht zu mögen, tauchen ihre sechsjährigen Ichs auf und werben um Verständnis für die verdorbenen Erwachsenen.

Nancy Huston:

Ein winziger Makel. Roman. Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Claudia Steinitz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2007,

368 Seiten, 19,90 €

Zur Startseite