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Salvador Plascencia: Papier ist ungeduldig

Die Welt braucht mehr unglückliche Männer. Das steht außer Frage, wenn man Salvador Plascencias Debütroman gelesen hat. Der Mexikaner faltet und entfaltet Menschenleben.

Ein Buch, voll von katholischem Pathos und südamerikanischer Magie. Ein Buch voll leidenschaftlicher Traurigkeit, das von Frauen erzählt, die Limonen essen, bis ihnen die Zähne faulig werden. Von Frauen, die ihre Männer verlassen. Vor allem aber von eben diesen Männern, die sich die Haut verbrennen, um den Trennungsschmerz zu vergessen, die dennoch warten und Rasen säen, der allmählich braun wird. Und die ein Buch schreiben, das sie derjenigen widmen, die in diesem Buch auf keinen Fall genannt werden will, die längst in einer anderen Stadt wohnt und längst nicht mehr ans Telefon geht.

„Menschen aus Papier“, der erste Roman des 1976 in Mexiko geborenen und in der Nähe von Los Angeles aufgewachsenen Salvador Plascencia, ist nicht nur ein wunderbares Bekenntnis zu Sehnsucht und Unglück, sondern auch eine Huldigung an das Schreiben – seine heilende und seine verletzende Kraft. Die Bilder, aus denen Plascencia diese Metaphorik entstehen lässt, sind dabei von eigenartiger Einfachheit.

Am Anfang steht der kleine Antonio, der – kaum anders denkbar in diesem Reigen des Verlassenwerdens – gerade ein geliebtes Wesen verloren hat: Ein Schlachter hat seinen Kater getötet und ausgeweidet. Ohne zu weinen trägt Antonio die noch warmen Überreste des Tiers nach Hause. „Drei Tage lang schloss er sich in sein Zimmer ein, faltete und riss Papier. Am zweiten Tag, nachdem er sich dreiunddreißig Mal am Papier geschnitten hatte – die Wunden waren nicht schlimm, abgesehen von einer, die tief ins Fleisch seiner Hände schnitt –, hatte er 13 perfekte Origami-Organe, Kapillaren aus gewundenen Schnüren und Venen aus Seidenpapier.“ Der Kater ist wieder springlebendig. Er bleibt nicht das einzige Wesen, das Antonios Faltkünste zum Leben erwecken. Bald sind es komplette Menschen, die aus seinen schöpferischen und stets zerschnittenen Händen erwachsen, Menschen, die den Regen fürchten müssen, weil sie sich sonst unweigerlich auflösen würden.

Kunstvoll in- und übereinandergefaltet sind auch die Ebenen dieses Romans. Das reicht bis hinein in die Gestaltung der Seiten. Der übliche Fließtext wechselt sich mit Spalten ab, mal steht der Text um neunzig Grad gedreht da, mal läuft er über das Seitenende hinaus oder wird durch schwarze Flächen unleserlich gemacht. Auf diesen bunten Ebenen tummeln sich unzählige fantastische und halb fantastische, papierne und fleischliche Gestalten, Mörder oder auch Heilige, die sich als Wrestler tarnen und Blumenduft verströmen, wenn sie sterben.

Federico de la Fe ist eine diese Gestalten, die am schmerzlichsten liebende wohl. Seine Frau hat ihn verlassen, weil sie nicht mehr ertragen konnte, dass er jede Nacht ins gemeinsame Bett urinierte. Nun ist er mit seiner Tochter in das amerikanische Städtchen El Monte übersiedelt, wo die mexikanischen Einwanderer ihr Geld als Blumenpflücker verdienen. Federico, der sich heiße Eisenstücke in die Haut drückt, um einen Schmerz zu spüren, der den eigentlichen überdeckt, wird zum Wortführer einer Gang, die gegen den übermächtigen Einfluss des Planeten Saturn ins Feld ziehen will. Die Häuser werden mit Bleiplatten verkleidet, damit Saturn die Bewohner nicht sehen kann. Wer auf die Straße tritt oder auf den Feldern arbeitet, ist angehalten, nur Belangloses zu denken.

Man mag zunächst glauben, hier auf eine Art mexikanischen Aberglauben zu treffen. Bald aber stellt sich heraus, dass man unversehens bei einer Selbstreflexion des Schreibens angelangt ist: Saturn ist kein anderer als ein Autor namens Salvador Plascencia, der – von der geliebten Frau verlassen – einen Roman schreibt, während die Gang von El Monte den „Feldzug gegen den allwissenden Erzähler“, den „Krieg gegen die Kommerzialisierung der Traurigkeit“ führt.

Hat Plascencia zunächst also eine schillernde Welt gezaubert, so faltet er diese nun Schritt für Schritt auseinander, glättet sie, um bis zu ihren – vermeintlichen – Produktionsbedingungen vorzustoßen. Hin und wieder wird dadurch ein Hauch von Kalkuliertheit spürbar, und eine handwerkliche Präzision gibt sich zu erkennen, die nicht recht zu der rastlosen Leidenschaft passen will, von der Plascencia erzählt. Aber dann ist es doch wieder die Einfachheit, die das Ganze so betörend schön macht, dass man über den Rest getrost hinwegsieht.

„Dich zu vermissen“, schreibt Saturn alias Salvador Plascencia an seine ferne Liebe, die auf keinen Fall vorkommen will in seinem Buch, „ist schlimmer als Pittsburgh“. Wer kann so einem Unglück schon widerstehen?

Salvador

Plascencia:

Menschen aus Papier. Roman. Edition

Nautilus, Hamburg 2009. 248 S., 19,90 €.

Wiebke Porombka

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